Nils Schmid, Verhandlungsführer der SPD, spricht im StZ-Interview über eine mögliche Volksabstimmung, EnBW und ein Superministerium.

Stuttgart - Die Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen sind am Montag fortgesetzt worden. Die Sozialdemokraten sind erneut nur Juniorpartner. Doch der Abstand zu den Grünen ist gering.

 

Herr Schmid, wie groß ist die Enttäuschung in der SPD, wieder nicht den Ministerpräsidenten stellen zu können?

Die Enttäuschung ist geringer als bei den Wahlen zuvor, weil wir diesmal den historischen Wechsel geschafft haben. Aber es bleibt ein Wermutstropfen.

Es gehört doch zum Grundverständnis der SPD, eine Volkspartei zu sein.

Dies sehe ich nicht infrage gestellt. Der Wähler in Baden-Württemberg hat gesagt dass die Grünen jetzt einen Sitz mehr bekommen. Das müssen wir akzeptieren. Aber für die Landespolitik bedeutet der Wahlausgang insgesamt einen epochalen Wandel. Die CDU wurde in die Opposition geschickt, und daran haben auch wir unseren Anteil.

Die SPD hat so schlecht abgeschnitten wie noch nie. Woran lag das?

Das hat mit der Tragödie in Japan zu tun. Das hat das grüne Urthema, den Atomausstieg, nach vorne katapultiert. Wenn man die langen Linien betrachtet, dann lässt sich eine SPD erkennen, die sich nach der Niederlage bei der Bundestagswahl wieder berappelt. Wir haben im Land die Chance, aus der Regierungsrolle heraus unser Profil zu schärfen.

Genau das geht ja regelmäßig schief. Die SPD ist als Juniorpartner im Südwesten noch jedes Mal schwächer aus einer Zweierkoalition herausgekommen als sie hineingegangen ist.

Wir sind diesmal nicht Juniorpartner, sondern agieren auf Augenhöhe. Das ist eine andere und bessere Ausgangslage, als wir sie zuletzt 1992 hatten.

Wie groß ist Ihre persönliche Enttäuschung, dass Sie nicht Ministerpräsident werden?

Immerhin gehe ich nach dieser Wahl nicht mehr wie bisher in Urlaub, sondern verhandle über eine Regierung. Außerdem muss man sehen, wo wir noch im vergangenen Jahr standen. Als stellvertretender Ministerpräsident werde ich die ganze Bandbreite der Landespolitik vertreten.

Nils Schmid zu Stuttgart 21

 Als Superminister?

Es geht nicht so sehr um den Ressortzuschnitt, sondern um die Haltung, in der die SPD in die Regierung eintritt. Wir wollen uns nicht auf Ressorts beschränken, also auf Zuständigkeiten, die durch Ministeriumszuschnitte definiert werden, sondern die sozialdemokratischen Inhalte in der ganzen Breite vertreten.

Welche Ressorts streben Sie an?

Das wird sich am Ende ergeben. Uns geht es um die Themen. Dazu gehört das Arbeitsmarktrecht, das den Beschäftigten wieder mehr Sicherheit geben muss. Es geht um die Zukunft unserer Industrie und damit auch um die Infrastruktur, es geht um Bildungschancen und die Gewinnung von Fachkräften. Das wiederum hat viel mit dem weiteren Ausbau der Kinderbetreuung zu tun, mit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mit der Integration von Zuwanderern. Das sind strategische Themen, die für das Land wichtig sind.

Sie sind angetreten mit dem Satz, die SPD ist eine Infrastrukturpartei. Wäre es nicht logisch, wenn die SPD das Verkehrsressort anstreben würde?

Jedenfalls brauchen wir eine gute Infrastruktur - auf der Schiene und auf der Straße. Da muss sich die Regierung darauf einigen. Das ist wichtiger als die Frage, wer das Ressort besetzt.

Was sagen Sie zu dem Vorschlag von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, zunächst die Neubaustrecke unabhängig vom Stuttgarter Bahnhof zu bauen. Claus Schmiedel, der Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, sagte daraufhin, das sei Quatsch. Heißt das im Umkehrschluss: ohne Tiefbahnhof keine Neubaustrecke?

Wir brauchen beides: die Neubaustrecke und eine vernünftige Anbindung nach Stuttgart. Nach den Plänen der Bahn geht das mit Stuttgart 21. Planungstechnisch ist beides verknüpft. Von daher ist es eine abstrakte Debatte zu sagen, man kann das eine machen und das andere lassen beziehungsweise neu durchdenken. Neubaustrecke und Tiefbahnhof sind auch hinsichtlich der Realisierungszeiträume aufeinander abgestimmt. Im Übrigen gilt auch für Herrn Ramsauer: es gibt Verträge, an die er gebunden ist. Deshalb rate ich, nicht so viel zu gackern, sondern den Stresstest abzuwarten. Dann wissen wir, ob das Konzept funktioniert. Nach allem, was man aus den vergangenen Jahren weiß, wird es funktionieren. Am Ende wird der Konflikt über die Volksabstimmung gelöst.

Renate Künast hat angekündigt, die Grünen würden alles unternehmen, um Stuttgart 21 zu verhindern.

Ich halte mich an Winfried Kretschmann, der klargestellt hat, was die gemeinsame Basis von SPD und Grünen ist: erst kommt der Stresstest, dann die Volksabstimmung. Deshalb rate ich zur Gelassenheit: Wir müssen nach keiner Lösung mehr suchen. Wir haben sie bereits, wenn wir den im Wahlkampf vorgeschlagenen Weg gehen. Daran sollten sich alle halten.

Dann machen Rot und Grün in einer neu formierten Regierung gegeneinander Wahlkampf - pro und contra Stuttgart 21.

Der SPD-Landeschef zur EnBW

Es treten nicht SPD und Grüne gegeneinander an. Vielmehr werden sich sehr vielgestaltige und heterogene Bündnisse dafür und dagegen bilden.

Teile der SPD werden zusammen mit den Grünen gegen andere Teile der SPD und der CDU über das Projekt streiten.

Es ist bei Sachabstimmungen so, dass sich die Interessen unabhängig von Parteigrenzen organisieren. Das sind wir noch nicht gewöhnt. Wenn man Volksabstimmungen auf Bundes- und auf Landesebene für sinnvoll erachtet, muss man das aushalten.

Manövrieren Sie sich damit nicht eine Situation, in der die Regierung verliert, egal, wie die Abstimmung ausgeht?

Nein. Die Regierung gewinnt, und zwar dadurch, dass sie den Bürgern überhaupt die Chance einräumt, das letzte Wort zu erhalten. Das ist ein Brückenschlag. Wir stellen den Finanzierungsbeitrag des Landes zur Abstimmung. Das ist ein Riesenschritt. Die Grünen haben bei der Wahl 24 Prozent erhalten, können aber aus eigener Kraft an dem Projekt nichts verändern. Diese Chance der Veränderung eröffnen sie sich durch die Koalitionsbildung mit uns.

Bleibt der Stromkonzern EnBW in Landeshand - oder verkaufen Sie die Aktien?

In absehbarer Zeit wird das Unternehmen beim Land bleiben müssen, denn ein Verkauf würde einen großen Vermögensverlust bedeuten. Unsere Aufgabe ist jetzt, den Konzern neu auszurichten. Das ist sicherlich der schwierigste Einzelposten, den uns Schwarz-Gelb hinterlässt.

Erwarten Sie von den beiden scheidenden Landesministern Helmut Rau (CDU) und Ulrich Goll (FDP), dass sie nach der Wahlniederlage auf den Einzug in den Aufsichtsrat der EnBW verzichten?

Es wäre gut, wenn die beiden rasch Klarheit schaffen würden, weil sonst der fatale Eindruck entstünde, dass Minister sich außerhalb der demokratischen Gepflogenheiten stellen würden.

Finanzieren Sie Ihre neue Politik über neue Schulden? Oder müssen Sie Ihre Wahlversprechen wieder einsammeln?

Nein, aber wir können Sie zum Teil nur schrittweise verwirklichen. Das habe ich immer gesagt: einen Teil setzen wir schnell um, dazu gehört die Abschaffung der Studiengebühren. Der andere Teil folgt nach und nach. Erst kommt der Kassensturz.

Mit 37 Jahren auf dem Weg zum Vizeministerpräsidenten

Wartestand: Zum Ministerpräsidenten hat es nicht gereicht, dennoch ist Nils Schmid auf gutem Weg, der erste SPD-Minister seit 15 Jahren im Südwesten zu werden. 1996 war die SPD aus der großen Koalition mit der CDU geflogen. Das Ergebnis damals: 25,1 Prozent Prozent. Das hätte diesmal für den Regierungschef gereicht.

Profil: Der 37-Jährige hat sich seine Sporen als Finanzpolitiker verdient. In dieser Eigenschaft hat er sich auch schon für Studiengebühren stark gemacht, die er jetzt abschaffen will. Der promovierte Jurist ist derzeit dabei, sich zum politischen Generalisten auszubilden. Das muss er auch als Anführer einer Regierungspartei.

Aussichten: Schmid wird sich aller Voraussicht nach das Finanzministerium greifen. Er hat die freie Wahl. Die stärkste Partei einer Koalition stellt den Ministerpräsidenten, die zweitstärkste Partei darf sich dann im Regelfall ein Ministerium nach ihrem Gusto aussuchen. Vizeregierungschef wird Schmid auf jeden Fall.