In der Bildungspolitik warnt der SPD-Landesvorsitzende Nils Schmid die CDU vor einem „ideologisch aufgeladenen Wahlkampf“. Er appelliert an die Parteien, sich auf die Schulstrukturen zu verständigen.

Stuttgart - Die Bildung ist das Kerngeschäft der Landespolitik. Just auf diesem Feld will der SPD-Chef Nils Schmid eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl den Frieden ausrufen. Er sagt, eine Verständigung über die Strukturen schließe den politischen Diskurs über Inhalte nicht aus.

 
Herr Schmid, die Regierung kündigt 500 weitere Stellen für Realschulen an. Schüttet die Koalition nun das Füllhorn über den Schulen aus, damit die Kritiker der Bildungspolitik endlich Ruhe geben?
Nein. Wir stärken die Realschulen innerhalb des Zweisäulensystems. Sie bekommen eine klare Rolle und Entwicklungsperspektive zugewiesen. Sie haben in Zukunft die Aufgabe, neben der Mittleren Reife Schülerinnen und Schüler auch zum Hauptschulabschluss zu führen. Das Konzept von Andreas Stoch beschreibt den Realschulen neben den Gemeinschaftsschulen einen eigenen Weg hin zu individueller Förderung. Dazu brauchen sie ähnlich wie die anderen Schultypen auch zusätzliche Poolstunden und die werden wir im Bildungsnachtrag verankern. Realschulen bekommen die Möglichkeit, in den Hauptfächern Schüler stundenweise in Niveaugruppen zu unterrichten. Anders als Gemeinschaftsschulen ist an Realschulen der Ganztagsbetrieb keine Pflicht.
Was kostet das?
Wenn wir mit hundert Deputaten im Schuljahr 2015/16 anfangen, entspricht das etwa fünf Millionen Euro im Jahr.
Wann kommt der Nachtragshaushalt?
Der Bildungsnachtrag wird im ersten Quartal 2015 vorbereitet und bis Ende April verabschiedet. Er dient dazu, die Rolle der Realschulen auch im Haushalt zu verankern. Er ist auch nötig für die weiteren Schritte in der Inklusion und für die Umsetzung des Hochschulfinanzierungsvertrags.
Noch einmal, räumen Sie die Problemfelder mit Geld ab?
Wir statten die Hochschulen und die Schulen mit den notwendigen Ressourcen aus. Unsere Ansage war immer, dass wir aus den rückläufigen Schülerzahlen Einsparpotenziale mobilisieren, dass wir aber auch die Maßnahmen des Bildungsaufbruchs wie Ganztagsausbau, Inklusion, individuelle Förderung unterstützen. Dazu brauchen wir Geld. Sobald haushaltsreife Projekte des Kultusministeriums vorliegen, werden Mittel bereit gestellt. Es gilt das Versprechen „Vorfahrt für Bildung“. Das heißt, die Ressourcen, die für gerechte Bildung notwendig sind, werden bereit gestellt.
Heißt das, was Kultusminister Stoch will, das bekommt er?
Nein, wir sind uns aber in der Koalition einig, dass Hochschule und Schule für den Standort Baden-Württemberg von besonderer Bedeutung sind. Das sind zwei zentrale Politikfelder sowohl für die Chancengleichheit als auch für die Fachkräftegewinnung, deshalb haben wir die Sparauflagen abgemildert.
Was bedeutet das neue Realschulkonzept für die allgemeine schulpolitische Lage?
Jetzt sind die Dinge klar. Das Schulsystem für das Land Baden-Württemberg nimmt Gestalt an. Wir haben ein Zweisäulensystem, das auf dem freien Elternwillen beruht und Bevormundung ausschließt. Es bleibt beim starken allgemein bildenden und berufsbildenden Gymnasium. Die Gemeinschaftsschulen sind etabliert, anerkannt und weiterhin nachgefragt; die Rolle der Realschulen ist nun klar definiert. Die Landesregierung steht für die Verlässlichkeit der Strukturen. Man kann über die Bildungspläne und das Tempo beim Ausbau der Ganztagsschulen streiten. Aber wir sollten die Debatte auf die Inhalte beschränken und nicht weiter an den Strukturen herummäkeln
Sie sind 2013 mit einem Aufruf zu einem Schulfrieden gescheitert. Wagen Sie einen neuen?
Vor einem Jahr war die Frage, wie die Rolle der Realschule aussehen soll, ein Hemmnis. Inzwischen hat Andreas Stoch einen Konsens mit den Realschulrektoren herbeigeführt, wir haben jetzt ein klares Bild des Schulsystems. Das ist eine gute inhaltliche Grundlage für einen Schulfrieden. Ich appelliere an alle landespolitischen Akteure, dass wir jetzt alles unterlassen, was Verunsicherung in die Schulpolitik bringen kann. Deshalb habe ich heute die Parteivorsitzenden von Grünen, CDU und FDP angeschrieben und ihnen einen Schulfrieden vorgeschlagen. Um die Ernsthaftigkeit zu unterstreichen habe ich gleich einen Termin Mitte Dezember vorgeschlagen.
Was ist die Gesprächsgrundlage?
Wir sollten auf der Basis von vier Punkten verhandeln: Die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung bleibt abgeschafft, die Gymnasien bleiben in ihrer starken Rolle, die Gemeinschaftsschule bleibt anerkannt und die Realschulen entwickeln sich fort. Ich glaube, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, mit dem richtigen Abstand zur Landtagswahl, noch einmal Anlauf Richtung Schulfrieden zu nehmen. Ich rufe vor allem die CDU auf, das Schwanken zwischen radikaler Umkehr in der Bildungspolitik und wachsweichen Bekenntnissen zur Gemeinschaftsschule sowie ihre unklare Haltung zur Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung zu klären. Dann müssten wir eine Verständigung hinbekommen. Dann könnten wir uns in der Landespolitik den Dingen zuwenden, über die der Streit sich wirklich lohnt.
Aber die Bildungspolitik bleibt das zentrale Feld der Landespolitik. Das wird sich die Opposition vor der Wahl nicht abkaufen lassen.
Die Frage ist, will die CDU unsere Gesellschaft in ideologische Grabenkämpfe treiben, weil sie die Strukturfrage immer wieder neu aufkocht oder will sie die Qualität unserer Bildungspolitik mit Verbesserungsvorschlägen voranbringen. Ich warne die CDU davor, ähnlich wie 2011 unter Stefan Mappus einen ideologisch aufgeladenen Wahlkampf zu führen, der in der Gesellschaft spalterisch wirkt. Strobl wie Wolf sind eng mit Mappus verbandelt, aber wenn sie diesen Stil fortsetzen wollen hilft das sicher nicht dem Land.
Wollen Sie die Bildungspolitik aus dem Landtagswahlkampf ausklammern?
Wir haben so vieles an Verbesserungen erreicht und wir haben eine Milliarde zusätzlich in die Bildung investiert, dass wir die Auseinandersetzung gar nicht scheuen. Allerdings würde ich eine neue Schulstrukturdebatte für völlig überflüssig erachten.
In der SPD geben Sie der Schulpolitik breiten Raum. Heute machen Sie einen Bildungskongress anstelle eines Parteitags. Warum?
Wir verspüren in der Partei das Bedürfnis über die eingeleiteten Maßnahmen in der Bildung zu diskutieren und zu informieren. Wir haben in den vergangenen drei Jahren sehr viel auf den Weg gebracht. So vieles, dass auch in der Partei nicht alle in allem auf dem laufenden sind. Wir wollen jetzt darüber diskutieren, wie die Maßnahmen ankommen. Wir wollen eine Zwischenbilanz dessen ziehen, was wir erreicht haben und wir wollen sehen, wo noch Verbesserungen nötig sind. Der Kongress ist auf breite Beteiligung angelegt. Das Thema lief ja auch in den eigenen Reihen nicht immer zur vollsten Zufriedenheit. Jeder soll Kritik und Anregungen einbringen können. Wir rechnen mit 300 Besuchern.
Bereitet Ihnen Sorge, dass die Zustimmung zur Bildungspolitik eher gering ist?
Die Bildungspolitik ist nach wie vor ein Punkt, an dem wir weiter feilen müssen. Wir können mit dem erreichten Stand nicht zufrieden sein. Wir wissen aber auch, dass es kaum ein Bundesland gibt, in dem es überwältigende Zufriedenheit mit der Bildungspolitik gibt. Aber es darf noch besser werden und der Kongress ist ein Schritt dazu. Wir fangen mit den eigenen Leuten an, dann tragen wir die frohe Botschaft weiter.