Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Muss man mehr für den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel und all die anderen inhaftierten Medienvertreter tun?
Das Vorgehen gegen Journalisten ist in der Tat besorgniserregend. Deshalb tut Außenminister Gabriel gut daran, sich bei der türkischen Regierung für die Pressefreiheit einzusetzen. Aber gerade das verlangt, dass man im Gespräch bleibt.
Sie sind mit einer gebürtigen Türkin verheiratet. Verstehen Sie, woher der große Rückhalt für Erdogan hierzulande kommt?
Das ist einerseits die Sehnsucht nach klaren politischen Vorgaben. Andererseits ist die starke Orientierung der Türken an der Politik im Herkunftsland dadurch zu erklären, dass die Integration in den letzten Jahren Rückschläge erlitten hat. Es gibt hier immer noch eine heftige Debatte über die Einbürgerung und die doppelte Staatsangehörigkeit, die speziell zu den Türken eine Distanz aufgebaut hat. Auch ist ihr Vertrauen zu den deutschen Institutionen durch das Versagen der Sicherheitsbehörden bei der NSU-Terrorbande in Mitleidenschaft gezogen worden. Umgekehrt hat sich die türkische Politik immer weiter von dem EU-Annäherungskurs entfernt.
Sollten die Beitrittsverhandlungen zur EU mit Ankara fortgeführt werden?
In diesen Zeiten ist die Fortsetzung des Dialogs besonders wichtig. Dazu gehört, im Rahmen der Beitrittsgespräche Einfluss zu nehmen. Gerade jetzt wäre es angebracht, das Kapitel über Justiz und Rechtsstaatlichkeit zu eröffnen, um mit der Türkei zu gemeinsamen Verabredungen über die Einhaltung von Grundrechten zu kommen.
Wie diskutieren Sie mit Ihrer Frau oder deren Familie über die aktuellen Verwerfungen und die Entwicklung in der Türkei?
Bei uns ist die Haltung nicht strittig. Aber wir verfolgen in den türkischen Medien, wie die Pressefreiheit eingeschränkt wird. Und ich spüre aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, dass diejenigen, die in Deutschland ausgebildet worden sind und sich beruflich in die Türkei verändert haben, sich schon wieder überlegen, nach Deutschland zu wechseln. Der Trend der vergangenen Jahre scheint sich damit umzukehren.