Rocksängerin Nina Hagen legt ihre Autobiografie "Bekenntnisse" vor. Den Titel strapaziert sie hinreichend.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)
Berlin - Im gleichen Maße, in dem der Glaube das Weltgefüge zusammenhalten mag, ist auch der Irrglaube ihr Kitt. Auf fehlleitenden Pfaden wandelt etwa, wer im neuzeitlichen Buch aller Bücher, der Netzenzyklopädie Wikipedia, unter dem Rubrum Nina Hagen der Weisheit letzten Schluss zu finden trachtet.

Hagen stellt einiges klar


Denn siehe, Catharina Hagen fiel nicht durch die Aufnahmeprüfung der Schauspielschule. Und nein, ihr erster bekannter Erfolg war nicht die 1972 erschienene Single mit dem zugegebenermaßen burlesken Titel "Eine Violine bin ich nicht" von Fritzens Dampferband.

Diese beiden bei Wikipedia behaupteten Umstände widerlegt Nina Hagen in ihrer jetzt erschienenen Autobiografie "Bekenntnisse". Nach der Wende hat sie, schreibt die Sängerin dort, ihre Stasiakte gelesen; die form- und grundlose Ablehnung seitens der Schauspielschule beruhte nicht etwa auf künstlerischem Unvermögen, sondern auf dem handschriftlichen Vermerk "Verhindern!", den der zuständige Stasioffizier auf dem Aufnahmeantrag der Schauspielerinnen- und Dissidentenstieftochter anbrachte.

Und das in ihrem Buch abgebildete Cover des beim ostdeutschen Staatsmusikverlag Amiga veröffentlichten Albums mit dem DDR-"Kulthit" namens "Du hast den Farbfilm vergessen" datiert Nina Hagen auf das Jahr 1974; erst 1975 stieg Nina Hagen bei ihrer letzten ostdeutschen Gruppe Fritzens Dampferband ein.

Ein Zeugnis, das entbehrlich wirkt


Eine Violine in der Dampferband war sie folglich 1972 nicht, vielmehr eine in Ostdeutschland wegen des "Farbfilm"-Lieds schon durchaus wohlbekannte Diseuse. Doch allzu weltbildverändernd sind diese zwei kleinen "Bekenntnisse"-Erkenntnisse nicht.

Das Zeugnis, das Nina Hagen nun ablegt, wirkt aus zwei anderen Gründen entbehrlich. Zum einen aufgrund jenes 2002 bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienenen, über fünfhundert Seiten starken und mit einem fabelhaften Fotoessay von Jim Rakete veredelten großformatigen Prachtbands: der von Marcel Feige verfassten und von Nina Hagen autorisierten Biografie "That's why the Lady is a Punk".

Darin schildert die Dame, geführt von einer sicheren Biografenhand, aufschlussreich illustriert mit unzähligen Originaldokumenten sowie beeindruckenden Fotografien und Zeichnungen von Pierre et Gilles bis A.R. Penck, weit mehr als alles, was man über das gesamtdeutsche Gesamtkunstwerk Nina Hagen wissen möchte. Wer will, kann in diesem exzellenten, in jedem Sinne kolossalen Buch auch jedweden Aspekt der extraordinär ausgeprägten Hagen'schen Spiritualität nachschmökern.

Ein unüberlesbar selbst geschriebenes Buch


Hätte Nina Hagen also geschwiegen - sie wäre jene unnachahmlich durchgeknallte Philosophin geblieben, jener ganze Pfahlbau im Spießbürgerfleische, dem selbst der verstockteste Miesepeter (und sei es nur wegen der unzweifelhaft brillanten Singstimme) irgendeine Gefühlsregung zwischen Belustigung und Lebensleistungsrespekt entgegengebracht hätte.

Doch was sind sie nun, diese "Bekenntnisse"? Ein Traktat! Knapp dreihundert Seiten schenkt sich Nina Hagen für dieses diesmal unüberlesbar selbst geschriebene Buch ein. "Als Reiter auf dem Sturm der Geburtswehen unserer Mütter werden wir geboren und auf diese Erde geworfen, ohne dass wir uns aussuchen können, wie oder wann und wo, Waaahnsinn!!" lautet gleich der erste Satz. Davon werden gefühlt einhundert Seiten mit Bibelzitaten und weitere geschätzt hundert Seiten mit dem Lobpreis Gottes verprasst.

Nina ist jetzt nämlich eine Christin, getauft im August 2009 im niedersächsischen Schüttorf sogar, wie man nun erfährt. Und das alles hat sie mit einem messianischen Sendungseifer, der Tom Cruise in Staunen versetzen würde, auch wie üblich allumfassend mitzuteilen. Der Zweitname ihrer Tochter Cosma Shiva zum Beispiel neuerdings? Nichts als Verblendung aus jenen Tagen, die sie in den Fängen der "irrgeleiteten Sekte" der Buddhismus-Devotees verbrachte, deren Hohelied sie doch jahrelang sang. Schnödes Scheinwerferlicht?

Die Biografie in naive Worte gepackt


Nichts im Vergleich zur Erleuchtung, welche ihrer Ansicht nach die Lutherbibel von 1912 (!) bietet. Die irische Kirche, Kindesmissbrauch, Konfessionszwist, der Heilige Vater (jawohl, es handelt sich um ein aktuelles Sachbuch!)? Schon schlimm alles, "ich befürchte allen Ernstes, dass der gesamte ,Leib Christi' in der Hölle schmort und ungenießbar wird", schreibt Nina Hagen, und fügt an des obersten Stellvertreters Gottes Adresse hinzu: "Lieber Papst Benedikt, ich habe Sie lieb, Gott hat Sie lieb, Gott hat mich auch lieb!"

Der Duktus entgleitet ihr jenseits des spirituellen Gefasels bisweilen ins Poesiealbumhafte. Die frohe Botschaft dieser doch so wortgewaltigen Künstlerin ist teils von erschütternder Naivität, über die Musikerinnenbiografie dieser Frau, der - so schreibt sie in einem der lichten stilistischen Momente dieses Buchs - "die genialischen Nummern wie die Sternschnuppen ins Schürzchen purzelten", erfährt man leidlich wenig, über die Karriere als Schauspielerin gar nichts.

Wo bleibt da die Mutter des Punk, die prima Nina in Ekstase, wo die Episödchen der Zarah-Leander-Adeptin, die einst die Verse schmetterte: "Die tausenden kleinen pikanten Histörchen/die leise geraunten Alkovenmärchen/sind nicht umsonst mir angedichtet/denn auch ein schlechter Ruf verpflichtet"? Wo die madonnengleichen "Confessions on a Dancefloor"? Verblasen vom Wind einer Gefühlshalse, die das an Spleens gewiss nicht arme Leben der Nina Hagen um ein weiteres Kapitel bereichert. Eins, das man indes am liebsten privat gelebt und nicht als Offenbarungsschrift inszeniert gesehen hätte.

Nina Hagen: Bekenntnisse. Pattloch Verlag, München, 296 Seiten, 18 Euro. Auch als Hörbuch erhältlich.

Nina Hagen liest und singt am 13. Mai im Stuttgarter Theaterhaus.