Aber bitte mit Testosteron: Wie RTL mit „Ninja Warrior“ das Genre der Spielshow erfolgreich wiederbelebt hat.

Stuttgart - Es soll ja Menschen geben, die sich fragen, wie es wäre, wenn sie ihr Sofa zum Joggen verlassen müssten. RTL hilft diesen Zuschauern. „Ninja Warrior “, so heißt die Samstagabendshow für Zuschauer, die lieber mitfiebern, wenn durchtrainierte Menschen vor der Kamera turnen, statt selbst ihre Hintern in Bewegung zu setzen. Diese Show, ein Import aus Japan, ist ein Phänomen. Es ist seit langer Zeit das erste für den deutschen Markt adaptierte Unterhaltungsformat, mit dem RTL bei der Zielgruppe der jungen Erwachsenen punkten kann. Dabei wird ausnahmsweise mal nicht gecastet, es gibt keine Jury, die den Daumen hebt oder senkt. Und es macht sogar Spaß.

 

Auf den ersten Blick überrascht das, denn nüchtern betrachtet ist „Ninja Warrior“ nichts anderes als ein Zirkeltraining für Extremsportler – eine Mischung aus Parcours, Boulder und Fitness für Fortgeschrittene. Die Kandidaten müssen über Schrägen hüpfen, sich auf einer Scheibe in der Luft um die eigene Achse drehen oder eine Schräge hochrennen und sich, oben angelangt, auf ein Podest ziehen. 120 Minuten dauert eine Folge. Das ist nicht ganz so lang wie „Schlag den Raab“ (Pro Sieben), bis 2015 der stundenlange Straßenfeger unter den Spielshows, bis Stefan Raab mit fünfzig in den Vorruhestand ging. 350 Kandidaten haben sich für die neue Staffel qualifiziert, zu 90 Prozent Männer. Einem nach dem anderen dabei zuzuschauen, wie er sich zum Start noch wie ein Alpha-Gorilla auf die Brust trommelt oder den schwarzen Business-Anzug und die rahmengenähten Lederschuhe anbehält, um dann schon in der ersten Station abzurutschen und ins Wasser zu plumpsen, das ist unterhaltsam.

Muskulös und übersät mit Tattoos

Man schaut sich die Show auch dann gerne an, wenn man sonst dazu neigt, bei Spielshows einzunicken. Das liegt zum einen an den Moderatoren. Mit Frank Buschmann hat RTL einen Mann eingekauft, ohne den so ein Format nicht funktioniert. Motivator und Drill-Sergeant in einer Person, das war er schon in der Pro-Sieben-Show „Schlag den Raab“. „Buschi“ schreit, flucht und zetert. „Waaaahnsinn!“, entfährt es dem ehemaligen Profi-Basketballer aus dem Ruhrpott, wenn sich wieder ein Tarzan mit den Armen an Sprossen entlanghangelt, ohne dass aus den Muskeln Pudding wird. „Ein Mentalmonster!“ Jan Koeppen und Laura Wontorra stehen ihm zur Seite. Koeppen der nette Kumpel von nebenan, Wontorra das toughe, aber charmante Mädchen, das im Studio schon mal die kleinen Kinder der Kandidaten auf den Schoß nimmt, damit es bei all dem Testosteron auch ein bisschen menschelt.

Überhaupt: die Kandidaten. Es sind Profisportler oder Menschen, die den Sport zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben. Mehr oder weniger muskulös und die Körper übersät mit Motiven aus 5000 Jahren Tattoo-Geschichte. Getrieben von der Vorstellung, „es ist ’ne Horde Hunde hinter dir her“. Es sind Männer wie der „Ninja-Daddy“ Florian, 35 Jahre alt, ein Sportlehrer aus der Schweiz, der mit seinen beiden kleinen Töchtern als Gewicht trainiert. Oder Frauen wie die Rhönradturnerin Kassandra, 19, die ihre Oma als Maskottchen mitgebracht hat.

Die Regie macht aus jedem Run eine Performance. Sie friert das Bild ein, wenn Frank Buschmann und Jan Koeppen über die richtige Sprungtechnik dozieren. Sie zeigt kniffelige Szenen in Slow Motion. Als nur durchschnittlich sportliche Fitnessstudio-Karteileiche sitzt man so gebannt vor dem Fernseher, dass man völlig vergisst, reflexartig in die Chipstüte zu greifen. Schadenfreude ist zwar die schönste Freude, aber das schlechte Gewissen guckt mit. Welche Figur würde man selber abgeben, wenn man selber auf einer rüttelnden Abrissbirne bergab fahren müsste?

Bald zieht Pro Sieben mit Steffen Henssler nach

Scheitern gehört bei „Ninja Warrior“ dazu. Dem Gewinner winken 200 000 Euro, aber in den 29 Jahren, in denen das Format international läuft, haben es bislang nur sechs Kandidaten bis über die letzte Hürde geschafft: den Mount Midoriyama – 22 Meter, die man in rasender Geschwindigkeit an einem Seil hochklettern muss. In der ersten Staffel bei RTL ist 2016 mit Oliver Edelmann ein vierfacher deutscher Meister der Sportakrobatik kurz vor dem Ziel rausgeflogen. Nicht siegen heißt hier aber nicht verlieren. Das ist das Schöne an „Ninja Warrior“. Hier fließt zwar mehr Schweiß als in den Spielshows, mit denen man als Zuschauer groß geworden ist, vom „Spiel ohne Grenzen“ bis zu „Takeshi’s Castle“. Neben dem Parcours in diesem Format ist alles andere Kindergeburtstag. Weil die Latte so hoch hängt, muss sich aber keiner grämen, wenn er rausfliegt. Er kann es in der nächsten Staffel noch mal versuchen.

Die Stimmung im Studio von „Ninja Warrior“ ist jedes Mal wie vor einem Endspiel der Fußball-WM. Knackige Kerle gehen eben immer. Wenn sie dann noch bis an ihre Grenze gehen, umso besser. Es ist wohl kein Zufall, dass jetzt auch Pro Sieben seinen Spielshow-Klassiker wieder neu aufgelegt hat. Aus „Schlag den Raab“ wird „Schlag den Henssler“. Am 30. September wird der aus dem Fernsehen bekannte Sternekoch („Grill den Henssler“) in zehn Runden gegen Kandidaten antreten. Eigentlich sollte es schon Anfang September losgehen, doch beim Training zog sich Steffen Henssler einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zu. Mit 45 ist er eben nicht mehr der Jüngste. Bei „Ninja Warrior“ würde er damit schon zu den Opas gehören. Doch sollten ihn deshalb Zweifel plagen, fegt er die vom Tisch. Gewohnt großmäulig hat er verkündet, bis zur Premiere sei er wieder fit: „Macht euch auf etwas gefasst!“