Die „Bild“ veröffentlicht Anschuldigungen gegen Juso-Chef Kevin Kühnert – der habe im Kampf gegen die große Koalition Hilfe russischer Trolle angenommen. Nun sagt das Satire-Magazin „Titanic“: Das waren alles wir.

Stuttgart - Die Geschichte klang so gut: Dem Chef der Jungsozialisten in der SPD, Kevin Kühnert, ist für seine innerparteiliche Kampagne gegen eine neuerliche große Koalition alles recht. Da nimmt er vor dem Mitgliederentscheid auch gerne Hilfe von zwielichtigen, russischen Internettrollen entgegen.

 

Fast zu gut, um wahr zu sein, könnte man meinen.

Für die „Bild“-Redakteure waren die Informationen diesbezüglich, die ihnen anonym und exklusiv von einem „Informanten“ zugespielt wurden, aber „brisantes Material“ und „heikle Vorwürfe“. Die „Bild“ titelte folglich: „Neue Schmutzkampagne bei der SPD“.

Verifizierung per Mate-Tee

In dem Text erklärt die „Bild“, dass sie von dem Informanten per Mail und per Telefon kontaktiert worden sei. Am Ende spielt der Anonyme der Redaktion E-Mails zu, die belegen sollen, dass Juso-Chef Kühnert Hilfe von einem Russen namens „Juri“ angenommen habe. Der Internettroll solle auf Facebook mit falschen Accounts Stimmung gegen die große Koalition machen. Laut der E-Mails nimmt Kühnert das Angebot an, nachdem der Russe ihm das Lieblingsgetränk eines gemeinsamen Bekannten als Verifizierung nennt – Tee der Sorte „Mio Mio Mate Ginger“.

„Bild“ verweist auf fehlende Beweise – und veröffentlicht trotzdem

Erst ganz am Ende des Textes weist die „Bild“ darauf hin, dass sie die Echtheit der Mails nicht prüfen konnte. Veröffentlicht werden die „heiklen Vorwürfe“ trotzdem; die „Bild“ macht seit einiger Zeit selbst Stimmung gegen die No-Groko-Kampagne der Jungsozialisten. „Bild“-Chef Julian Reichelt nimmt das alles trotz fehlender Beweise beinahe schon für bare Münze, könnte man meinen:

Die Jusos und Kevin Kühnert dementieren die Geschichte auf Anfrage der „Bild“ sofort. Schon allein die E-Mail-Adresse des vermeintlichen Kevin Kühnert stimme nicht, zudem sei Kühnerts Englisch nicht so gut wie in dem E-Mail-Verkehr.

Für die „Bild“ kein Grund, nicht weiter an der Geschichte dranzubleiben. Das Blatt lässt Anfang der Woche Web-Experten die Informationen in den Mails auswerten. Ein Cyber-Security-Professor meint: „Die Server-Daten kreisen den Verfasser mit hoher Wahrscheinlichkeit auf jemanden mit Zugang zu Systemen der SPD ein.“

Ein Fake von „Titanic“?

Nun heißt es fast eine Woche nach der „Bild“-Veröffentlichung: Juri, der E-Mail-Verkehr, der anonyme Informant – das alles will sich das Satire-Magazin „Titanic“ ausgedacht haben. Das behauptet jedenfalls die „Titanic“ auf ihrer Homepage. Dahinter stecke „Titanic“-Redakteur Moritz Hürtgen: „Eine anonyme Mail, zwei, drei Anrufe – und ‚Bild’ druckt alles, was ihnen in die Agenda passt.“

In ihrer gewohnt ironischen Art schreibt „Titanic“ weiter: „Wir möchten uns trotzdem gegen den Vorwurf der Jusos verwehren, es handle sich um eine ‚plumpe Fälschung’. Das ist unverschämt. Da stecken mindestens drei Stunden Arbeit drin“, so Hürtgen. Außerdem wolle man die „Bild“-Kollegen „in Schutz nehmen“: „Ich kann Volkschefredakteur Julian Reichelt und seine Leute verstehen: Wie soll man solche Fälschungen erkennen, wenn man unbedingt eine Kampagne fahren will?“

Kevin Kühnert nimmt’s mit Humor

Man sei sich mit Reichelt einig: „Milchgesichter mit starken Meinungen sollten in Deutschland nichts zu sagen haben. Es sei denn, sie verleumden Ausländer, Obdachlose und leichte Opfer.“ Zudem sei es schlicht sauberer Profijournalismus, „exklusiv irgendwelche Mails zu veröffentlichen und dabei so zu tun, als berichte man über eine Kampagne anderer“. Als Beweis für ihre Urheberschaft bietet „Titanic“ den E-Mail-Verkehr als Download an. „Titanic“-Redakteur Hürtgen schreibt zudem auf Twitter:

Nach dem Text von „Titanic“ twitterte im Übrigen Kevin Kühnert nur ein einziges Gif, verbunden mit dem Hashtag #miomiogate:

Und auch das Netz nimmt die „Bild“ auf den Arm:

Inzwischen hat ein Sprecher des Axel-Springer-Verlages Stellung zu der „Bild“-Berichterstattung bezogen: „Die Echtheit der uns anonym zugestellten E-Mails haben wir immer deutlich in Frage gestellt und journalistisch eingeordnet“, sagte er. Außerdem äußerte sich „Bild“-Chef Julian Reichelt auf Twitter. Er wirft dort der „Titanic“ vor, sich zu profilieren, „indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht“: