Seit Jahrzehnten tobt in Kolumbien ein erbitterter Kampf. Jetzt erhält der Präsident Juan Manuel Santos denFriedensnobelpreis. Das ist ein Fingerzeig für den Weg zur Beendigung des Konflikts.

Korrespondenten: Klaus Ehringfeld (ehr)

Bogotá - Kolumbien steckt seit dem Referendum vom Sonntag in einer tiefen politischen Krise. Das Land und die Menschen wollen endlich Frieden, sind aber gespalten in der Frage, wie dieser auszusehen hat. Wie viel Versöhnung, wie viel Strafe, wie viel Vergebung darf es, muss es sein? Über all das sind sich die Menschen in diesem geschundenen Land so unklar, dass solche Ergebnisse möglich sind, wie sie das Plebiszit hervorgebracht hat: Es war ein klares Jein zum Friedensprozess zwischen den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc) und der Regierung.

 

Kolumbien, seine Menschen, aber auch seine Politiker sind nachhaltig verwirrt, wie man nun mit diesem Ergebnis umzugehen hat, wie die Fortführung des Kriegs zu vermeiden ist. Und da kommt dieser Nobelpreis für Präsident Juan Manuel Santos gerade recht: Er ist ein Fingerzeig, dass der Prozess trotz der Ablehnung in der Bevölkerung nun rasch zu einem positiven Ende gebracht werden muss. Und dass Santos auf einem richtigen Weg ist. Die Auszeichnung ist sozusagen eine Sauerstoffmaske aus Oslo, damit die Verhandler auf der Zielgeraden dem drittbevölkerungsreichsten Land Lateinamerikas endlich den Frieden bringen können.

Ausgewogener Friedensvertrag

Bis zum Plebiszit galt der 297 Seiten starke Friedensvertrag als vorbildlich für ähnliche Konflikte. Er war ausgewogen, stellte die Opfer in den Vordergrund und sah wichtige strukturelle Veränderungen vor wie eine nachhaltige Entwicklungsagenda für die Landwirtschaft und die ländlichen Regionen. Die immense Schere zwischen Arm und Reich und die ungleiche Landverteilung waren vor 52 Jahren der Ausgangspunkt des Konflikts. Viele der Probleme existieren noch heute.

Santos hat auch deshalb den Nobelpreis zuerkannt bekommen, weil die internationale Gemeinschaft von Anfang an und einhellig den Prozess unterstützt hat. Allein der Versuch, den längsten und bittersten Konflikt in Lateinamerika zu einem Ende zu bringen und dafür alles andere hintanzustellen, ist einen Preis wert.

Basis für Santos wird breiter

Kann diese Auszeichnung aber etwas in Kolumbien selbst verändern? Vermutlich ja. Die verbissenen Gegner des Prozesses auf der rechten Seite um Ex-Präsident Álvaro Uribe werden zwar nicht von ihrem Widerstand abrücken, aber die politische Basis und die Legitimation für Santos werden nun breiter und größer werden. Der Unterschied zwischen „Sí“ und „No“ waren gerade mal 60 000 Stimmen. Aber mehr als sechs Millionen Kolumbianer wollen diesen Friedensvertrag so umgesetzt sehen, wie er ausgehandelt wurde. Und die Auszeichnung aus Oslo hilft, all die zig Millionen Menschen zu überzeugen und zu sensibilisieren, die am Sonntag gar nicht erst zur Abstimmung gegangen sind.

Preis fördert die Nachdenklichkeit

Der Preis hilft, aus einer gleichgültigen Bevölkerung eine nachdenkliche zu machen. Und er kann all die Gegner des Friedensprozesses zum Umdenken bewegen, die sich nicht hinter dem Rechtsaußen Uribe geschart haben, für den die Farc schlicht Terroristen sind, denen man besser mit Blei als mit Worten begegnet. Die Unternehmer zum Beispiel, die von den Investitionen profitieren könnten, die ein Frieden bringt, könnten jetzt anders entscheiden.

Der Fingerzeig des Nobelkomitees ist letztlich auch für den Präsidenten selbst eine riesige Verpflichtung. Denn nun darf er nicht mehr scheitern. Er muss den Krieg in Kolumbien beenden. Und zwar schnell. Das ist komplizierter geworden seit dem Plebiszit, weil er nun nicht mehr nur mit den Rebellen, sondern auch mit der rechten Opposition den Ausweg suchen muss. Aber diese ist durch den Nobelpreis geschwächt. Und die Anerkennung, der Stolz, die Freude über den Preis in dem südamerikanischen Land werden ihm dabei helfen, sein Ziel und das Ziel aller Kolumbianer zu erreichen. Dass endlich für immer die Waffen schweigen und das Land in eine bessere Zukunft blicken kann.

Zugeständnisse der Guerilleros

Dass den Nobelpreis nicht auch noch der Farc-Chef Rodrigo Londoño alias „Timochenko“ bekommen hat, mag auf den ersten Blick verwundern. Schließlich haben die Guerilleros in den vier Jahre währenden Verhandlungen viele Zugeständnisse gemacht. Das geht in der aktuellen Diskussion etwas unter. Aber es ist nachvollziehbar, dass das Nobelpreiskomitee eine Auszeichnung nicht an jemanden vergibt, der zumindest mittelbar für Entführungen, Anschläge, Morde, Vertreibungen und die Rekrutierung Minderjähriger mitverantwortlich ist. Timochenko hat 40 seiner 57 Jahre bei den Farc verbracht – die meisten davon in der Führungsebene. Es wäre kühn gewesen, den größten Friedenspreis der Welt auch dem Rebellenchef zu verleihen. Das werden nicht alle Kolumbianer gut finden, aber sie werden es zumindest verstehen.