Von Montag an werden die Preisträger in den Naturwissenschaften bekannt gegeben. Doch passen die Regularien überhaupt noch zu der Art, in der heute geforscht wird? Und geht es bei der Auswahl gerecht zu?

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stockholm - In der kommenden Woche wird wieder rund eine Handvoll auserwählter Forscher einen Anruf bekommen, der ihr Leben verändern dürfte. Dann wird die Stockholmer Nobel-Stiftung wie jedes Jahr um diese Zeit die Preisträger in den naturwissenschaftlichen Disziplinen bekannt geben. Los geht es am Montag mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie, am Dienstag und Mittwoch folgen Physik und Chemie. Wie immer wird im Vorfeld kräftig spekuliert, wer in welcher Kategorie das Rennen machen könnte – und am Ende kommt es vielleicht ganz anders. Im Zusammenhang mit der Verleihung wird auch regelmäßig darüber diskutiert, ob die Vergaberegeln noch in die heutige Zeit passen. Ein Überblick über die wichtigsten Punkte der Debatte. Wie gerecht ist die Auswahl?„Diejenigen, die einen Nobelpreis bekommen, haben ihn in aller Regel verdient“, meint der Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz. Das Problem sei aber, dass viele talentierte Forscher, die den Preis genauso verdient hätten, ihn nicht bekommen, sagt der Chemieprofessor. Neben wegweisenden Entdeckungen, einer langen Liste von Veröffentlichungen und Forschungspreisen brauchen Wissenschaftler ein gutes Netzwerk, um möglichst von mehreren vorschlagsberechtigten Fachkollegen nominiert zu werden. Und auch dann gehört noch einiges Glück dazu, um am Ende unter mehreren Hundert Aspiranten ausgewählt zu werden. Günter Blobel, der Medizin-Nobelpreisträger des Jahres 2000, rät Forschern deshalb dringend davon ab, auf den Nobelpreis hinzuarbeiten. „Sie dürfen sich da nicht darauf versteifen. Wenn Sie ihn kriegen, ist es schön, wenn nicht, ist es auch nicht schlimm“, hat der gebürtige Dresdner einmal in einem Interview gesagt. Viel wichtiger sei es, von der eigenen Arbeit überzeugt zu sein. Warum dominieren die Amerikaner? In der jüngeren Vergangenheit haben überproportional viele US-Forscher Nobelpreise in Medizin, Physik und Chemie eingeheimst. Noch stärker ist die Dominanz der Amerikaner beim Wirtschaftspreis, der allerdings erst 1968 eingeführt wurde und deshalb kein „echter“ Nobelpreis ist. Dass sich an der Vorherrschaft der USA bald etwas ändert, ist unwahrscheinlich, denn die bisherigen Preisträger einer Fachrichtung sind auch vorschlagsberechtigt bei der Auswahl der neuen Kandidaten. „Da es schon sehr viele amerikanische Laureaten gibt, ist der Blickwinkel dabei natürlich stark auf die USA ausgerichtet“, sagt Schwarz. Es handelt sich also um ein sich selbst verstärkendes System. Zudem seien US-Forscher hervorragende Netzwerker, sagt der Humboldt-Präsident. „Die Top-Forschungseinrichtungen stimmen sich dort darüber ab, wen sie vorschlagen wollen.“ Auch Ehemalige würden aktiviert: Nach dem Motto: Wir wollen X oder Y nominieren. Kannst du uns dabei helfen? So wäscht eine Hand die andere. Schwarz: „Die USA sind keineswegs besser, sie verkaufen sich nur besser.“

 

Betrachtet man die Gesamtzahl der Preise seit der ersten Vergabe 1901, schneidet Deutschland gemessen an der Einwohnerzahl gar nicht so schlecht ab. In den vergangenen Jahren schlug das Pendel aber immer weiter in Richtung USA aus. Miserabel kommen in der Statistik Frauen und Forscher aus Nicht-Industrieländern weg – was den Juroren schon öfter den Vorwurf der Diskriminierung einbrachte.

Welche Bedeutung hat der Preis noch? Die Forschungsarbeiten, die mit einem Nobelpreis belohnt werden, sind oft schon mehrere Jahrzehnte alt und die Preisträger bereits im Rentenalter. Live erleben kann man das bei den jährlichen Treffen der Nobelpreisträger in Lindau, bei denen der Altersschnitt weit über 60 liegen dürfte. Es gibt aber auch Beispiele, in denen die Nobelgremien mehr Mut bewiesen haben. So bekam der Deutsche Stefan Hell den Chemienobelpreis 2014 im vergleichsweise zarten Alter von 49 Jahren. Auch die Entdeckung der Fullerene – das sind kugelförmige Kohlenstoffmoleküle, die etwa in Solarzellen eingesetzt werden – wurde bereits elf Jahre später mit der Auszeichnung bedacht. „Der Nobelpreis hat nichts von seiner Bedeutung verloren“, findet Schwarz. Es gebe inzwischen aber viele andere Forschungspreise, die teilweise höher dotiert sind als der Nobelpreis mit rund 830 000 Euro.

Werden Teams ausreichend gewürdigt? In früheren Zeiten sorgten oft geniale Einzelkämpfer wie Albert Einstein für bedeutende wissenschaftliche Fortschritte. Viele der heutigen Forschungsprojekte sind dafür zu komplex. So trugen Tausende Wissenschaftler zur Entdeckung der Gravitationswellen bei. Schon dieses Jahr könnte dieses Thema durch einen Physikpreis geadelt werden. „Sollten sie das Rennen machen, werden wahrscheinlich nur die Chefs von drei Arbeitsgruppen den Preis bekommen“, so Schwarz. Ein möglicher Weg aus dem Dilemma wäre, wenn nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Organisationen wie etwa das Teilchenforschungszentrum Cern einen wissenschaftlichen Nobelpreis verliehen bekommen könnten. Beim Friedenspreis ist das schon immer der Fall. Angeblich wird bei der Stockholmer Nobelstiftung über diese Möglichkeit nachgedacht. Es handle sich aber um „eine schwierige Frage“ sagte der Sekretär des Nobelkomitees für Physik dem „Spiegel“.

Werden die richtigen Fächer prämiert? Ein Problem ist auch der Zuschnitt der Fachgebiete, den Alfred Nobel in seinem Testament festgelegt hatte und der die heutige Forschungswirklichkeit kaum abdecken kann. So gibt es etwa keinen Nobelpreis für Ökologie, obwohl diese Disziplin ohne Zweifel von entscheidender Bedeutung für das Überleben der Menschheit ist. Auch die boomenden Computerwissenschaften bleiben außen vor. Interdisziplinäre Projekte passen ebenfalls nicht so recht in das Raster. Allerdings sind die Fachgebietsgrenzen bei der Preisvergabe längst nicht mehr so scharf. So bekam der Physiker Hell den Nobelpreis in Chemie. Und glaubt man Prognosen, könnte in diesem Jahr die revolutionäre Genschere Crispr mit einem Chemienobelpreis prämiert werden – und nicht mit dem eigentlich besser passenden Medizinpreis. Eine heiße Kandidatin für diesen Preis ist die Crispr-Entdeckerin Emmanuelle Charpentier. „Wenn Sie den Preis in diesem Jahr nicht bekommt, dann in den nächsten fünf Jahren“, meint Schwarz.

Sind Reformen möglich? Egal ob es um den Zuschnitt der Fachgebiete, die Begrenzung auf maximal drei Preisträger oder die Regularien der Auswahl geht – für Humboldt-Präsident Schwarz führt die Debatte um eine Nobelpreis-Reform ins Leere: „Die Regeln sind nun mal so.“ Basis sei das Testament Alfred Nobels – und das könne man nicht einfach ändern, sagt der Humboldt-Präsident.

So funktioniert die Vergabe

Vorschlag
Um in die engere Wahl für einen Nobelpreis zu kommen, muss man vorgeschlagen werden. Vorschlagsberechtigt sind bisherige Preisträger einer Kategorie sowie die Mitglieder des Nobelkomitees. Hinzu kommen bei den Naturwissenschaften Mitglieder der Schwedischen Akademie der Wissenschaften sowie Professoren ausgewählter Universitäten in Skandinavien und anderen Teilen der Welt. Beim Friedenspreis können unter anderem Regierungsvertreter, Parlamentarier sowie Wissenschaftler einschlägiger Fachrichtungen Vorschläge machen, beim Literaturpreis Literaturprofessoren und Vertreter von Schriftstellerverbänden. Es ist nicht zulässig, sich selbst vorzuschlagen.

Auswahl Bis Ende Januar gehen für die Preise in Medizin, Physik und Chemie 250 bis 350 Vorschläge ein. Im nächsten Schritt holt das Nobelkomitee Gutachten von skandinavischen und ausländischen Fachleuten auf dem jeweiligen Gebiet ein. Daraus wird eine Empfehlungsliste für die Endrunde erstellt. Die endgültige Entscheidung fällen die Nobelgremien der preisverleihenden Institute. Bei Physik und Chemie ist das die Schwedische Akademie der Wissenschaften, bei Medizin das Karolinska Institut. Die Sitzungsprotokolle bleiben für 50 Jahre geheim.

Bekanntgabe Die Preisträger werden immer Anfang Oktober bekannt gegeben. In diesem Jahr geht es am kommenden Montag mit dem Medizinpreis los, dann folgen Physik und Chemie, der Friedenspreis und der erst 1968 eingeführte Wirtschaftspreis. Den Abschluss bildet der Literaturnobelpreis. Die Verleihungszeremonie findet am 10. Dezember in Stockholm statt. Nur der Friedenspreis wird in Oslo übergeben.