Bei der Gemeinderatswahl 2014 wurde sie in Stuttgart grüne Stimmenkönigin – jetzt setzt Anna Deparnay-Grunenberg für ihre politische Karriere auf eine zweite Schiene. Aus einem Auslandswahlkreis möchte die Deutsch-Französin in die Nationalversammlung einziehen.

Stuttgart - Wird Anna Deparnay-Grunenberg bald nicht nur in Stuttgart Politik machen, sondern auch in Paris? Sie will es versuchen. Die Co-Fraktionschefin der Grünen im Gemeinderat tritt nach Informationen unserer Zeitung bei der Wahl für Frankreichs Nationalversammlung an. Dazu sind die Wählerinnen und Wähler am 4. Juni und – dann zur Stichwahl – am 18. Juni an die Wahlurnen gerufen.

 

Möglich macht es die doppelte Staatsangehörigkeit der 40-Jährigen. Und eine französische Besonderheit: Die Grande Nation hat unter 577 Wahlkreisen auch elf Auslandswahlkreise, aus denen je ein Abgeordneter ins Parlament einrückt. Deparnay-Grunenberg bewirbt sich im Auslandswahlkreis Nummer 7, der wahrlich Größe hat: Neben Deutschland umfasst er Polen, die Slowakei, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die einstmals jugoslawischen Balkanstaaten, womit er bis knapp vor Griechenland reicht. Insgesamt sind es 15 Staaten mit mehr als 140 000 stimmberechtigten Auslandsfranzosen. Der Löwenanteil von ihnen lebt zwar in Deutschland, die Ausbreitung des Wahlkreises bedeutet aber trotzdem, dass der Wahlkampf anders ist, als man es hierzulande gewohnt ist.

Ein Wahlkampf der etwas anderen Art

Deparnay-Grunenberg und ihre Wahlkampfhelfer in Rostock, Berlin oder München bedienen sich oft des Internets. Eine vergleichbare Wahlkampfmaschine, wie sie die Parteien und ihre Kandidaten bei Wahlen in Deutschland anwerfen, steht nicht zur Verfügung. Und auch wenn die Bewerbung Erfolg haben sollte, würde die Wahlkreisarbeit ganz anders aussehen: Gelegentlich würde man natürlich Termine in den 15 Ländern wahrnehmen, sagt die Kandidatin, aber Sprechstunden würde sie dann auch im Internet-Chat anbieten – wenn sie gewählt würde.

Ob sie Chancen hat, ist schwer zu wägen. 2012, als die Auslandswahlkreise eingeführt wurden, hat sich der von den Grünen unterstützte Sozialist Pierre-Yves Le Borgn’ durchgesetzt, der Jurist ist und beruflich im Umfeld der Europäischen Union in Brüssel tätig war. Jetzt zeigen Frankreichs Grüne mit Deparnay-Grunenberg selbst Flagge. Nebenbei gesagt: Diesmal ist auch die rechte Front National in diesem Auslandswahlkreis am Start.

Weitere Rolle im Stuttgarter Rathaus noch ungeklärt

Deparnay-Grunenberg ist unter den Auslandsfranzosen in Deutschland kein ganz unbeschriebenes Blatt. Seit Jahren ist sie als konsularische Delegierte tätig – auch eine politische Ehrenamtsfunktion, die in Deutschland unbekannt ist. Wer sie ausübt, ist eine Art Kümmerer für die Auslandsfranzosen. Nun will sie einen Schritt weitergehen und auch für Frankreich grüne Politik machen. Die Schnittmenge mit dem Programm der französischen Ökopartei sei ausreichend groß, beteuert sie.

Sollte Deparnay-Grunenberg jetzt in die Nationalversammlung kommen, wäre das nicht zwangsläufig das Ende ihrer kommunalpolitischen Tätigkeit in Stuttgart. Vielleicht noch nicht einmal das Ende des Fraktionsvorsitzes. Darüber würde sie erst entscheiden, wenn sie wüsste, wie arbeitsaufwendig das neue Mandat wäre, sagt die grüne Stimmenkönigin der Gemeinderatswahl 2014, die damals rund 86 000 Stimmen errang. Das war das zweitbeste Ergebnis nach dem von Alexander Kotz (CDU).

Die Zugfahrt nach Paris dauert nur dreieinhalb Stunden

Wenn Sitzungswochen in Paris sind, dauern sie oft von Dienstagmorgen bis Donnerstagabend, bei Plenarsitzungen aber auch länger, sagt Deparnay-Grunenberg, die verheiratet ist und drei Kinder hat, aber schon früher sagte: Es komme halt ganz auf die Organisation an. Mit dem Schnellzug sei man in dreieinhalb Stunden in Paris. „Mancher Abgeordneter in Frankreich ist Bürgermeister und wohnt vielleicht noch weiter weg in Nizza.“

In Frankreich kennt sie sich durchaus aus. Geboren wurde sie in Berlin als Tochter eines deutsch-schweizerischen Vaters aus dem Raum Bern und einer aus dem Großraum Paris stammenden Mutter. Mit dieser zog sie aber im Alter von zwei Jahren nach Frankreich. Dort gab es einige Stationen: Zentralfrankreich, Pyrenäen, Elsass und Chambery, nördlich von Grenoble. Über den Studienort Freiburg im Breisgau kam sie dann nach Stuttgart. Die zehn Jahre, die sie hier schon lebt, seien fast die längste Aufenthaltszeit, sagt sie lachend.

Ihre politische Wirksamkeit im Gemeinderat und an der Grünen-Fraktionsspitze ist nicht unumstritten. Kollegen in anderen Fraktionen mögen sie. In den eigenen Reihen hat sie ganz offensichtlich auch Freunde. Im sozialen Netzwerk heben Freunde und Weggefährten hervor, wie wundervoll sie „Anna“ als Facebook-Freundin finden. Das ließ auch ihren Fraktionskollegen Jochen Stopper nicht ruhen: „Als Fraktionsvorsitzende ist sie noch viel wundervoller“, ist dort unter seinem Namen zu lesen.