Wir Stadtkinder lieben unsere Stadt. Aber verdammt nochmal nicht alles. Zum Beispiel die drohende Zukunft des Metropol Kinos als Boulderhalle. Da hat auch die Stadt viel versäumt, findet unser erboster Autor und fragt sich, wo er künftig Hausbier trinken soll.

Stuttgart - Das Kino und ich, wir haben eine lange Beziehung. Sie reicht schätzungsweise 31 Jahre zurück und beginnt mit meinem ersten Kinobesuch. Die Wiederaufführung von „Dschungelbuch“, irgendwann nachmittags. Danach verfiel ich der großen Leinwand, jobbte sowohl in meiner Heimatstadt Calw als auch nach meinem Umzug nach Stuttgart in Kinos. Als Platzanweiser, Popcorn-Popper und Vorführer. Im Metropol arbeitete ich nie. Doch ich glaube, ich war in den letzten 18 Jahren in keinem anderen Kino häufiger zu Gast.

 

Der Filmpalast wird zur Sporthalle

Ah, das glanzvolle, das ehrwürdige Metropol. Untergebracht im alten Bahnhof, dachte man bei jedem Besuch des Hauses unweigerlich, dass früher vielleicht nicht alles besser, der Stuttgarter Bahnhof aber auf jeden Fall schöner war. Die großen Bögen sind noch erhaltene Originalfassade von 1846, als der Centralbahnhof zum 65. Geburtstag von König Wilhelm I. eröffnet wurde. 175 Jahre später ist der Bau zwar denkmalgeschützt, doch er soll dennoch schon bald eine Boulderhalle beherbergen. Der Filmpalast der Stadt wird zur Sporthalle, die Kultur zieht allem Anschein nach wieder mal den Kürzeren. Und statt nach frischem Popcorn, riecht es hier dann bald nach Schweiß.

Die Stadt hätte das Dilemma vermeiden können

Das macht mich rasend. Nicht weil ich etwas gegen Boulderer und ihren Sport hätte. Die sollen rumkraxeln, wo sie wollen. Aber doch nicht im geschichtsträchtigsten Kino der Innenstadt! Wie schon oft und gern in der Vergangenheit beobachtet, hätte auch dieses Dilemma vermieden werden können. Und wie? Einfach: Indem die Stadt das Gebäude nicht einfach blindlings verkauft und somit dem unersättlichen Immobilienmarkt zum Fraß vorgeworfen hätte.

Jetzt versichert die Stadt zwar eilig, dass man mit dem Besitzer Union Invest in einem „regen Austausch“ (hat sich eigentlich mal jemand gefragt, was genau das heißt?) stehen würde und das Gebäude auf jeden Fall als Kino weiterführen will. Diese Einsicht kommt aber mal wieder reichlich spät und zeigt die Wichtigkeit der Stadt als Immobilieneigner, damit so etwas eben nicht passieren kann.

Von wegen keine Interessenten

Am vergangenen Montag versammelten sich 150 Demonstrant*innen vor dem Stuttgarter Rathaus, während drinnen gerade die Element Boulders GmbH dem Bezirksbeirat Mitte ihr Konzept für die Nutzung des Baus als Kletterhalle vorstellte. Allein die Tatsache, dass das Gebäude denkmalgeschützt und wahrscheinlich maximal aufwändig umgebaut werden müsste, lässt mich so stark den Kopf schütteln, dass mir schwindelig wird. Zumal Union Invest hartnäckig behauptet, es hätte keine Kinobetreiber*innen unter möglichen neuen Interessenten gegeben. Die gab es nach Ansicht gleich mehrerer Branchenkenner durchaus. Zu einer blöden Idee kommen jetzt also auch noch Lügen hinzu – willkommen im profitgetriebenen Schmierentheater der Immobilienbranche.

Kino seit fast 100 Jahren

Gehen die Bosse bei Union Investment nicht gern ins Kino? Besuchen sie nicht gern mal ein Konzert, eine Lesung, ein Theaterstück? Es scheint nicht so. In einer Boulderhalle sehe ich die Damen und Herren Funktionäre aber irgendwie auch nicht. Muss es also doch der schnöde Mammon sein, der jegliche Manieren und jedwedes kulturhistorisches Verständnis einfach vergessen lässt. Hier wird seit 1926 Kino gemacht. Man kann sich schier nicht vorstellen, welche Klassiker der Filmgeschichte hier zum ersten Mal in Stuttgart gezeigt wurden. Wie viele glänzende Augen an der Leinwand klebten, wie oft die Geräusche starben, wenn das Licht erlosch und sich der Vorhang öffnete.

Und ewig tanzen die Vampire

Das Metropol war unser Hauch Hollywood, unser Babelsberg mitten in der Stadt. Ein Bier davor am Palast, zwei Bier danach, das war keine Routine, sondern ein Ritual. Und dann erst die Festivals. Das Fantasy Filmfest, das Indische Filmfestival, das Trickfilmfestival und die Filmschau Baden-Württemberg: Die großen Events, sie fanden immer im Metropol statt – einem Familienbetrieb, wohlgemerkt. Also, wenn so ein Ort nicht schützenswert ist, sondern unüberlegt veräußert wird, dann muss man zittern, was Stuttgart noch alles mit seiner Kulturszene anstellen wird. Dann kann man ja gleich alle Off-Theater kündigen und durch Callshops ersetzen und alle kleinen Konzertlocations dichtmachen und Wettbüros reinsetzen bis nur noch das SI-Centrum den kulturellen Geist Stuttgarts mit der 29. Wiederaufführung von „Tanz der Vampire“ nährt.

Mittendrin im Metro-Gate

Es ist ein Leichtes, das Kino kleinzureden. Die Vorteile des Heimkinos herauszustellen, zu betonen, dass man bei einem Streaming-Dienst schauen kann was man will – und das, wann man will, mit so vielen Pinkelpausen wie nötig und ohne diesen nervigen Sitznachbar, der lauter Nachos knuspert, als AC/DC spielen. Man vergleicht dann aber eben Äpfel mit Birnen. Eine Schiffsreise nach New York ist ja auch nicht mit einer Flugreise zu vergleichen, nur weil man sich am Ende beide Male vor dem Empire State Building fotografiert.

Kino wird nicht sterben. Die Erfindung des Lieferdienstes hat ja auch nicht die Geschichte der Restaurants beendet. Es gibt für alles eine Zeit, das mag schon sein. Doch die Zeit des Kinos, die ist noch lange nicht zu Ende. Daran ändert auch eine Kletterhalle in einem schützenswerten historischen Baudenkmal nichts. Das sehen natürlich viele Menschen in Stuttgart genauso wie ich. Aber wir wissen ja leider alle, dass das gar nichts heißen muss. Jetzt können wir also alle mal in Echtzeit mitverfolgen, wie man im Rathaus mit einem der Kulturdenkmäler der Stadt umgeht. Wir sind mittendrin im Metro-Gate. Und es sieht nicht gut aus.