Die Nokia-Betriebsräte erheben schwere Vorwürfe gegen den Handykonzern und hoffen auf einen Investor für den Standort Ulm. Schon einmal war das Unternehmen bedroht, galt dann aber als glorreich gerettet. Nun sitzt der Schock umso tiefer.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Auch einen Tag, nachdem der Nokia-Konzern die Schließung des Standortes Ulm ankündigte, sitzt der Schock bei den 730 Beschäftigten tief. Der Ulmer Betriebsratschef Heiner Mosbacher schilderte am Freitag die Fassungslosigkeit, die sich nach der Betriebsversammlung, zu der Topmanager des Konzerns angereist waren, breitgemacht hatte. „Das hat uns wie ein Schlag ins Gesicht getroffen“, sagte er. Besonders ärgern sich die Beschäftigten darüber, dass während der Betriebsversammlung am Donnerstag, in deren Verlauf auch eine Videobotschaft des Konzernchefs Stephen Elop eingespielt wurde, keine Rede davon gewesen sei, dass der Standort Ulm bereits zum 30. September geschlossen werden soll. Das hatte die deutsche Pressestelle im Verlauf des Tages anfragenden Journalisten mitgeteilt.

 

„Nokia sagte uns im Prinzip, dass sie sich auf weniger Ziele fokussieren müssen“, berichtete der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Michael Reiner. Er ergänzte: „Ich glaube, mit Schrumpfen ist noch keiner richtig erfolgreich im Mobilfunkmarkt geworden.“ Die Beschäftigten sehen im globalen Sparbeschluss, dem bis zu 10 000 Mitarbeiter zum Opfer fallen sollen, auch eine Herabwürdigung ihrer bisher geleisteten Arbeit. „Wir haben in Ulm viele Erfolge für Nokia erzielt“, sagte Mosbacher. Es gebe aber bisher keine Angebote des Konzerns für die Ulmer Betroffenen, möglicherweise an andere Standorte in Europa zu wechseln.

Schluss in Ulm

Die Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Ulm, Petra Wassermann, ist skeptisch, ob die 730 Ulmer Nokia-Beschäftigten vom regionalen Arbeitsmarkt aufgenommen werden können. „Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist nur vordergründig gut“, so die Gewerkschaftsvertreterin. „Schon im Fall Schlecker zeigten sich erste Zweifel.“ Die Gewerkschaft will detaillierte Informationen des Nokia-Managements einholen. Nach Ansicht von Wassermann ist der angekündigte Schließungstermin nicht zu halten. Insbesondere müsse der Handykonzern darlegen, ob und welche Alternativen zur Schließung des wichtigsten deutschen Standortes erwogen wurden.

Das Gefühl der Überrumpelung ist auch deswegen so stark, weil der Standort Ulm Ende vergangenen Jahres schon einmal als bedroht galt – und dann glorreich gerettet schien. Der Konzern hatte im Oktober 2011 kurzfristig 3500 Arbeitsplätze weltweit gestrichen, die meisten davon im rumänischen Cluj. Der rumänische Standort, der anstelle des hochsubventionierten und letztlich geschlossenen Nokia-Werks in Bochum gegründet worden war, hatte lediglich drei Jahre Zeit gehabt. Auch 50 Softwareentwickler in Bonn mussten damals gehen. Ulm, wo preisgünstige Handys für Dritt- und Schwellenländer entwickelt werden, nahm am Ende jedoch sogar Mitarbeiter von anderen wegrationalisierten Standorten auf. In den vergangenen Monaten wuchs die Nokia Ulm GmbH um 250 Mitarbeiter. Das Gebäude am Ulmer Eselsberg platzte aus allen Nähten, Mitarbeiter wichen in Bürocontainer aus oder quartierten sich bei den benachbarten Kollegen von Nokia Siemens Networks ein. Es gab in Ulm konkrete Baupläne zur Erweiterung des Standorts. Es gebe bereits geschlossene Arbeitsverträge mit Arbeitsbeginn 1. Juli, berichtete Michael Reiner.

Jetzt ist auch für Ulm Schluss. Inwiefern die Belegschaft bereit oder in der Lage ist, zu kämpfen, ist fraglich. Die IG Metall bestätigte, dass die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder gering ist. Die 730 Beschäftigten, von denen die meisten eine Ingenieursausbildung haben, kommen aus 38 verschiedenen Ländern, das Durchschnittsalter beträgt 38 Jahre. Gut möglich, dass viele bei Zahlung einer finanziellen Entschädigung einen Aufhebungsvertrag unterschreiben. Reiner hofft, dass die Belegschaft sich nicht vorschnell zerstreut. Viele Beschäftigte hätten Familien und Häuser in Ulm. Die größte Hoffnung setzt er auf eine Investorenlösung. Womöglich fänden sich ein Unternehmen aus der Consumer-Elektronik oder der Kommunikationstechnik, das Interesse „an einem funktionierenden Standort“ habe. „Wir hoffen auch, dass sich die Politik einschaltet“, ergänzt Betriebsratschef Mosbacher.