Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Aurèle Mechler lebt und arbeitet seit elf Jahren am Nordbahnhof, kennt hier jeden und hat schon einmal erfolgreich seinen alternativen und günstigen Arbeits- und Lebensraum verteidigt. 2011, als die Bahn die Künstler zum Auszug aufforderte, organisierte man sich, schrieb Pressemitteilungen, holte den Grünen Rezzo Schlauch zur Unterstützung. Es gab Treffen mit der Bahn, Diskussionen im Rathaus, ein Ersatzstandort wurde gesucht.

 

Man fand bei der Deutschen Bahn einen wohlgesinnten Verwaltungsmitarbeiter, das half schon mal. Lokalpolitiker kamen zu Besuch, das half noch mehr. Das Thema „kulturelle Zwischennutzung“ wurde diskutiert. Schließlich entstanden in der Marienpassage, im Wilhelmspalais und in der Calwer Passage tatsächlich weitere Orte, die zwischenzeitlich Kunst beheimateten. Fritz Kuhn stellte sich im OB-Wahlkampf auf eine Stuttgarter Bühne und sagte, er setze sich für die Subkultur ein.

Wenn Subkultur nicht mehr Sub- ist

Der Untergrund hatte seinen Schrecken verloren, mehr noch: plötzlich fanden ihn offenbar alle gut. Nur: Die Subkultur, die gemeint war, war nicht das, was die Künstler am Nordbahnhof darunter verstehen. Und wegen der Subkulturtouristen, die am Nordbahnhof vorbeischauten, war „der Flavour weg“, sagt Aurèle Mechler: „Es herrschte hier plötzlich so etwas wie Oktoberfeststimmung.“ Die Zustände waren so schlimm, dass sich die Künstler genötigt sahen, ein Schild aufzuhängen, das Fotografieren und wildes Pinkeln verbot.

Die Schaulustigen sind längst wieder weg. Und einige der Künstler auch: Sie zogen an den Cannstatter Güterbahnhof und haben den umtriebigen Verein Contain’t gegründet, der sich jedoch im Verwaltungsdickicht noch häufiger verheddert als im Gestrüpp des überwucherten Areals. Ein paar Kilometer südlich davon, in der Stuttgarter Innenstadt, kultivieren neue Locations wie die Dresden Bar oder das Super Popular Sanchez das alternative Kunst- und Feiergefühl. Die Stadtverwaltung bemüht sich, auf die Bedürfnisse der Betreiber einzugehen – Betonung auf „bemüht sich“. Regelmäßig knirscht es im Getriebe.