Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams, die zentrale Figur der irischen Republikaner, ist verhaftet worden. Der prominenteste Politiker der Grünen Insel soll 1972 als IRA-Kommandant die Ermordung einer zehnfachen Mutter befohlen haben.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Belfast - Beträchtliche Unruhe hat beiderseits der irischen Grenze die Verhaftung des Republikaner-Führers und Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams durch die nordirische Polizei ausgelöst. Adams, der auch irischer Abgeordneter und Fraktionschef Sinn Féins im Dubliner Parlament ist, wird von den britischen Behörden verdächtigt, an einem der scheußlichsten Morde der IRA während des Nordirlandkonflikts beteiligt gewesen zu sein. Spekulationen in dieser Richtung hatte es schon lange gegeben, doch wagte es bisher nie jemand, gegen den einflussreichen Politiker vorzugehen, der früher die IRA – die Irisch-Republikanische Armee – mit angeführt haben soll. Politische Beobachter in Nordirland fürchten, dass eine Anklage gegen Adams den Friedensprozess in der Provinz gefährden könnte.

 

Adams war eine Schlüsselfigur im Nordirlandkonflikt sowie später bei dessen Beendigung. Der Sinn-Féin-Boss bestreitet bis heute, der IRA auch nur angehört zu haben. Insbesondere weist der 65-jährige Belfaster alle Schuld im Zusammenhang mit dem sogenannten „McConville-Fall“ von sich. Jean McConville war eine 37-jährige protestantische Witwe und Mutter von zehn Kindern, die zu Beginn der Nordirland-Unruhen im katholischen West-Belfast lebte und 1972 von IRA-Leuten zum Entsetzen ihrer Kinder aus ihrer Wohnung entführt wurde. Die IRA verdächtigte McConville damals zu Unrecht, ein Polizeispitzel gewesen zu sein. Sie wurde verschleppt, erschossen und heimlich verscharrt. Erst 1999 gestanden die Republikaner, McConville auf dem Gewissen zu haben. 2003 wurde ihre Leiche an einem Strand in der irischen Grafschaft Louth gefunden. Jean McConville war eine von insgesamt 16 Personen, die paramilitärische Verbände für Informanten hielten und die sie entführten und irgendwo in Irland töteten.

Sieben „Verschwundene“ sind bisher nicht gefunden

Sieben dieser „Verschwundenen“ sind bis heute nicht gefunden worden. Im Fall McConville war seit Langem das Gerücht im Umlauf, Adams habe den Befehl zu ihrer Exekution gegeben. Mehrere Zeugenaussagen von Ex-Republikanern scheinen nun die Polizei davon überzeugt zu haben, dass dies tatsächlich der Fall war. Ein Teil dieser Aussagen stammt aus den Geheimarchiven des Boston College, einer Jesuiten-Hochschule in den USA. Das College hatte um die Jahrtausendwende herum frühere Angehörige nordirischer Terrorverbände überredet, für eine Art „mündliche Geschichte“ des Nordirland-Konflikts ihre Erinnerungen an den Konflikt auf Band zu sprechen. Die Tonbänder, versicherte das College seinen „Zeitzeugen“, würden weggeschlossen und erst nach dem Ableben der Betreffenden veröffentlicht.

Doch die nordirische Polizei, die Wind von der Sache bekam, ging in den USA vor Gericht und erzwang die Herausgabe eines Teils des Materials. Zu den Aussagen, die ihr nun wohl vorliegen, gehören die Bänder des früheren Adams-Vertrauten und späteren Kontrahenten Brendan Hughes, der einst die IRA in Belfast befehligte. Hughes, der gestorben ist, bezeichnete gegenüber dem Boston College Adams als den Verantwortlichen für den Mord an McConville. Auch eine andere inzwischen verstorbene IRA-Aktivistin, die Bombenlegerin Dolours Price, gab vor ihrem Tod an, Adams habe den Befehl zur Ermordung McConvilles ausgegeben. Dasselbe wird Adams von dem heute 77-jährigen Ex-IRA-Offizier Ivor Malachi Bell vorgeworfen.

Der Verdächtige streitet alle Vorwürfe ab

Bell ist, auf der Grundlage seiner „vertraulichen“ Aussagen, im März dieses Jahres der Beihilfe zum Mord am Jean McConville angeklagt worden. Ein Ex-IRA-Bomber namens Peter Rogers beschuldigt Adams und seinen langjährigen Gefährten Martin McGuinness ferner, ihn 1980 für ein Bombenattentat zum Transport von Sprengstoff nach England beordert zu haben. McGuinness ist heute, als wichtigster Sinn-Féin-Repräsentant nach Adams, stellvertretender Regierungschef Nordirlands. Bei Sinn Féin werden die Beschuldigungen gegen Adams rundweg abgewiesen. Wer Anschuldigungen dieser Art vorbringe, suche nur Adams und Sinn Féin in Verruf zu bringen, meint die Republikaner-Partei. Das Timing der Verhaftung, drei Wochen vor den Europawahlen, sei eh verdächtig und wohl „politisch motiviert“.

In der Tat hatte Adams schon im März, kurz nach Ivor Bells Verhaftung, erklärt, er sei unschuldig, wolle sich aber der Polizei für eine Aussage ohne Weiteres zur Verfügung stellen. Am Mittwoch, als er von der Schwerverbrecher-Abteilung der nordirischen Polizei in Antrim zum Erscheinen auf der Wache aufgefordert und dort verhaftet und über Nacht festgehalten wurde, wehrte er sich erneut gegen „alle bösartigen Behauptungen“. Er selbst, sagte Adams, habe sich stets als „Friedensstifter“ betätigt, wiewohl er sich niemals vom Freiheitskampf der IRA distanzieren werde.