Nach den schweren Erdbeben im Norden Italiens haben 20.000 Menschen keinen Job mehr. Jetzt befürchten sie, ihre Firmen könnten ins Ausland abziehen. Am schlimmsten trifft es die Keramik- und Textilindustrie.

Bologna - Wir öffnen morgen wieder. Wenn’s die Erdbeben erlauben.“ So steht es an einer Textilfirma in Carpi. Seit Tagen schon. Im norditalienischen Erdbebengebiet zwischen Modena und Ferrara wackelt der Boden unaufhörlich weiter, die Schuttberge wachsen, und bei den Menschen – mehr als 15 000 sind inzwischen obdachlos – mischen sich Sarkasmus und Verzweiflung in den Drang zum Neubeginn. Die Stimmung ist deutlich gedrückter als vor einer Woche. „Das zweite Beben, das vom Dienstag, hat unseren Optimismus untergraben“, sagt Giuliano Pini, Chef einer großen Fliesenfabrik.

 

Die nun doppelt erschütterte Tiefebene nördlich von Bologna war gleichermaßen eine Kernregion der italienischen Landwirtschaft wie der Industrie. Hochprofitabel beides, mit Zuwachs auch in der Krise. Jetzt meldet die Region einen Schaden von mindestens drei Milliarden Euro. Noch schlimmer: es geht Angst um. Sie beruht auf demselben Faktor, der bisher den Erfolg garantiert hat: der Modernität.

Auf die Erfolge der Medizinbranche ist die ganze Region stolz

Die 8000 Betriebe der Metall-, der Keramik- und der Textilindustrie im Erdbebengebiet waren mit bis zu 90 Prozent Exportanteil weit stärker in globale Wirtschaftsstrukturen eingebunden als der Rest des Landes. Das hat sie vor der italienischen Krise bewahrt, sie aber gleichzeitig den rauen Winden des internationalen Wettbewerbs ausgesetzt. Nun fürchten viele Firmenchefs zum Beispiel im Hightech-Maschinenbau, sie könnten aus diesem Spiel ausscheiden. Gleiches gilt für die Textil- und die Modebranche, die es bis heute geschafft haben, der fernöstlichen Konkurrenz standzuhalten. „Wenn wir mit unseren Lieferungen jetzt für Wochen oder Monate ausfallen, dann kaufen unsere Kunden eben woanders ein“, sagt ein Manager im Fernsehen.

Ihr industrielles Herzstück, auf das alle in der Region stolz sind, ist der Distrikt für Medizintechnik neben dem Städtchen Mirandola, mit 100 Firmen und 1,2 Milliarden Euro Jahresumsatz der stärkste seiner Art in Europa, entstanden erst im Lauf der vergangenen 15 Jahre. Jetzt verzeichnet – neben der Landwirtschaft – genau diese Branche die höchsten Schäden. Zahlreiche Betriebsgebäude sind eingestürzt, so gut wie keine Produktionsstätte ist benutzbar. Allein hier stehen 5000 Beschäftigte auf der Straße. Sie fürchten nun dauerhaft um ihre Jobs. Denn viele jener Firmen, die vom Infusionsschlauch über Dialysegeräte bis zum künstlichen Herzen schier alles herstellten, was Kliniken so brauchen, gehören internationalen Multis oder Finanzfonds. Und diese, so argwöhnen Beschäftigte und Filialleiter, „haben andere Interessen, als uns zu helfen. Sie ziehen die Produktion dann eben an einen anderen Standort ab“.

Jetzt geht es erstmal ans Aufräumen

Insgesamt können an die 20 000 Beschäftigte derzeit nicht arbeiten. Ganze Industriegebiete sind aus Sicherheitsgründen zur „Roten Zone“ erklärt. „Schnelle Hilfe“ verspricht die Politik. Die Regierung von Mario Monti hat noch einmal zwei Cent pro Liter auf die ohnehin exorbitanten Benzinpreise draufgeschlagen, um 2,5 Milliarden Euro Soforthilfe bereitstellen zu können. Steuern, die im Juni fällig wären, werden im Bebengebiet zunächst einmal auf September verschoben.

Zuerst aber geht es ans Aufräumen – auf den Schutthalden der Firmengebäude ebenso wie innerhalb der intakten Strukturen. An die 900 000 durcheinandergestürzte Käselaibe – Parmesan und Gran Padano – müssen daraufhin untersucht werden, ob sie in Teilen womöglich doch noch verkäuflich sind. In einer Keramikfabrik sind 300 000 Quadratmeter versandfähiger Fliesen aus den Regalen gefallen und sollen jetzt einzeln auf ihre Weiterverwendbarkeit geprüft werden. Im selben Betrieb steht eine noch größere Aufgabe an: Das Beben hat den 120 Meter langen Brennofen verschoben, einfach so. Der erste Stoß um 25, der zweite um weitere fünf Zentimeter. „Bis wir allein die Öfen wieder anheizen können“, klagt ein Techniker, „werden Monate vergehen.“