Nana Hülsewig singt eine berühmte Arie nach und öffnet damit erstaunlich viele Denkräume. Das Künstlerduo Nana Hülsewig und Fender Schrade (Naf) zeigt im Stuttgarter Projektraum Ostend außerdem Filme übers Schminken und Schlafen im öffentlichen Raum.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Stuttgart - Gemessener Schritt, der Kopf hoch erhoben, Kringellöckchenperücke. Und Wimpern, die wie kleine Schmetterlinge flattern. Im Anzug und mit Goldkettenfäden, die über der Weste baumeln, durchschreitet die Frau den kleinen Projektraum Ostend in Stuttgart nahe dem Ostendplatz. Was für ein Auftritt.

 

Sie hat einen Kopfhörer auf, und man hört, was sie hört: die berühmte „Casta Diva“- Arie aus der Oper „Norma“ von Bellini. Der Raum ist, bis auf die sitzenden und stehenden Zuschauer leer, auch die Podeste am Fenster in diesem Laden, der früher einmal eine Änderungsschneiderei beherbergte. Die Frau tritt aufs Podest, steht da, lauscht, singt, versucht zu singen. In den schwierigen Passagen pausiert sie, mal versucht sie mitzuhalten, zart, zögerlich, sprechsingend.

„Norma“ von Leontyne Price

Und der Zuschauer? Lauscht ebenfalls und staunt über die drei-, vierfachen Bedeutungshorizonte, die sich auftun. Maria Callas, natürlich, kommt einem in den Sinn bei der „Norma“, ungebeten.

Aber so ist das popkulturelle Gedächtnis eben geprägt, zu oft schon war die Arie von der griechischen Sängerin gesungen in Filmen zu hören, wenn herzeinschneidend tragisches Gefühl vermittelt werden sollte. Zu vernehmen ist aber die Stimme der schwarzen US-Sängerin Leontyne Price, stärker, mit einem schönen, getragenen Ton der Schwermut, auch der Resignation.

Zu hören ist außerdem die Stimme der Performancekünstlerin Nana Hülsewig von Naf (Nana Hülsewig und Fender Schrade) selbst. Sie spielt mit dem puppenartigen Make-up und der geschlechter-indifferenten Kostümierung auch auf den Dresscode der Queer-Gemeinschaft an und berührt damit Fragen nach womöglich allzu schlichten Geschlechterzuweisungen.

Die Frau als Intigenopfer

Überdies erinnert sie daran, wie schwierig es ist, Kunst zu machen. Große Kunst. In Momenten, in denen sie sich summend in der Musik zu verlieren scheint, zeigt Nana Hülsewig auch, welche Macht Kunst ausübt – und wie ohnmächtig die Protagonistinnen zugleich oft sind: In der Oper verkörpert die Frau häufig genug die hilflos Liebende. Spielball der Mächte, Intrigenopfer, zuweilen intrigierendes Opfer.

Die Arie nimmt ihr Ende, fast glaubt man, voyeuristisch einem erotisch aufgeladenen Schwärmen beigewohnt zu haben, da schüttelt sich die Künstlerin für einen Moment, wie aus einem Traum erwachend mit einem vielsagenden Lächeln. Amüsement ist erlaubt. Applaus auch für das Zwischenspiel: Das Künstlerduo arbeitet an einem neuen Stück, ob sich dieser Performance-Versuch einfügen wird, wird sich zeigen.

Was im Projektraum noch zu sehen ist, sind Filme im Schaufenster. Nana Hülsewig und Fender Schrade, die sich in feinen Zwirn gekleidet im öffentlichen Raum schlafen legen. Nana Hülsewig, die Schönheitsrituale auch im Wortsinn übermalt. „Keine Angst ohne Mut“ heißen Performances von Naf – so ist es. Eindrucksvoll.

Info

Naf-Filme noch bis 13. Dezember täglich ab 19 Uhr im Projektraum Ostend, Achalmstraße 18 / Ecke Haußmannstraße.

Nana Hülsewig und Fender Schrade präsentieren außerdem am 20. Dezember um 20 Uhr ihre nächste Musikwerkstatt im Theater Rampe. Zu Gast ist dann die Komponistin und DJ Ain Bailey.