Die SPD geht nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen schwer angeschlagen in den Bundestagswahlkampf, kommentiert Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Düsseldorf - In den 1960er Jahren der alten Bundesrepublik verbreitete sich das Wort vom „Genossen Trend“. Es entstand in einer Phase, als die SPD eine Wahl nach der anderen gewann. Zurzeit ist der politische Trend kein Genosse. Schlimmer noch: Er ist, aus der Warte der SPD, ein ganz übler Hallodri, der sich erst auf die eine und dann ganz unerwartet auf die andere Seite schlägt – nämliche jene der CDU.

 

Das Jahr 2017 begann für die Sozialdemokraten mit einem demoskopischen Höhenflug, angetrieben von ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Jetzt sind sie krachend auf dem Boden aufgeschlagen. Drei verlorene Landtagswahlen hintereinander, als Tiefpunkt der Verlust ihres Stammlandes Nordrhein-Westfalen – das ist ein herber Schlag für die SPD. Martin Schulz wird größte Mühe haben, sich und die Seinen moralisch wieder aufzurichten.

Nun muss Schulz inhaltlich Überzeugendes liefern

Das kann ihm nach Lage der Dinge nur gelingen, wenn er jetzt ein mutiges und ehrgeiziges Programm für die Bundestagswahl vorlegt. Die Zeit des Wegduckens, der Rücksichtnahme auf die SPD-Wahlkämpfer in den Ländern ist vorbei. Nun muss Schulz inhaltlich Überzeugendes liefern, ansonsten rückt ein Sieg gegen Angela Merkel im Herbst in unerreichbare Ferne.

Schulz ist nicht der Hauptschuldige an der SPD-Niederlage in Nordrhein-Westfalen, diese Last trägt Hannelore Kraft. Wie ihr Kieler Parteifreund Torsten Albig war sie zu selbstgewiss. Die Ministerpräsidentin hat das anschwellende Murren großer Teile der Bevölkerung über ihre rot-grüne Regierung nicht oder zu spät wahrgenommen. Wie in Schleswig-Holstein bestimmte auch in Nordrhein-Westfalen der CDU-Spitzenkandidat auf den letzten Wahlkampfmetern die Debattenthemen und setzte sich als respektable Alternative in Szene – unterstützt durch eine Union, in der sich CDU und CSU nicht mehr pausenlos kabbeln, sondern so geschlossen wie lange nicht mehr hinter Merkel stehen.

Lindner ist neben Laschet der große Gewinner

Rot-Grün in Düsseldorf ist abgewählt, genauso wie in Kiel. Aber während die Grünen im Norden stabil zweistellig blieben, stürzen sie im Westen eigentlich noch schlimmer ab als die SPD – ihr Prozentwert aus der Wahl 2012 wurde an diesem Wahltag halbiert. In der grünen Bundespartei steckt viel nordrhein-westfälisches Grün. Wenn es den Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckart, nicht gelingt, diese Kräfte in den nächsten Monaten an den Rand zu drängen, dürften auch sie am Ende landen, wo die Grünen im größten Bundesland jetzt sind – knapp an der Fünf-Prozent-Hürde.

Den Part der Grünen als drittstärkste Kraft in Nordrhein-Westfalen übernimmt die FDP. Ihr Landes- und Bundeschef Christian Lindner ist neben dem Christdemokraten Armin Laschet der große Gewinner dieser Landtagswahl. Die Liberalen ziehen erstmals seit 1954 mit einem zweistelligen Ergebnis in den Düsseldorfer Landtag ein – und verschaffen sich damit eine glänzende Ausgangsposition für den Herbst.

Aus heutiger Sicht hat Merkel gute Chancen, Kanzlerin zu bleiben

Wenn Nordrhein-Westfalen, wie so oft behauptet, der entscheidende Stimmungstest für die Bundestagswahl ist, dann gibt es von nun an einige gut begründbare Erwartungen: Die CDU wird im Bund deutlich vor der SPD landen; die Grünen wie die Linken dümpeln dahin; die FDP kehrt in den Bundestag zurück; und die AfD weiß jetzt, dass sie trotz abschwellender Flüchtlingskrise, anhaltender interner Querelen und einem deutlichen Rechtsruck jede Fünf-Prozent-Hürde überspringen kann. Wenn es so kommt, wird im Kanzleramt nach der Bundestagswahl weiterhin Angela Merkel sitzen. Sie muss sich dann nur noch den oder die Regierungspartner aussuchen.

Aber vergessen wir nicht: Da gibt es noch den politischen Trend – diesen unberechenbaren, flatterhaften Gesellen. Vielleicht hat er auch im Herbst die eine oder andere Überraschung parat.