Sollte von der US-Botschaft aus tatsächlich die Kanzlerin belauscht worden sein, wird die schwierige Aufarbeitung noch komplizierter. Ermittler müssten höflich um Zutritt bitten. Oder aber das Auswärtige Amt greift zu drastischen Mitteln.

Berlin - In der Spähaffäre rückt die US-Botschaft in Berlin ins Zentrum des Interesses. Berichten zufolge sollen von dort aus die Lauschattacken auf das Handy von Kanzlerin Angela Merkel organisiert worden sein. Erst 2008 ist das imposante Gebäude am Pariser Platz, direkt neben dem Brandenburger Tor, bezogen worden. Fußläufig sind sowohl die Gebäude des Bundestags als auch das Kanzleramt in wenigen Minuten zu erreichen.

 

Das Magazin „Spiegel“ hat nun berichtet, dass in dem Neubau ein paar beachtliche technische Anlagen integriert seien, die es den US-Geheimdiensten ermöglichten, die Kommunikation im gesamten Regierungsviertel zu überwachen. Stimmen die Berichte, dann sind sie ein weiterer Beleg sowohl für das Ausmaß der Spionageaffäre als auch für die Schwierigkeiten der Bundesregierung, auf die Vorwürfe angemessen zu reagieren.

Auch das Konsulat in Frankfurt soll ein Agentenstützpunkt sein

Der „Spiegel“ beruft sich unter anderem erneut auf Dokumente des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden. Demnach operiert vom Dach der Botschaft aus eine Spezialeinheit, bestehend aus Agenten der US-Geheimdienste NSA und CIA. Die Einheit soll den Namen „Special Collection Service (SCS)“ tragen und in streng geheimen NSA-Papieren aufgeführt sein. Daraus gehe auch hervor, dass die Elitespione weltweit an 80 Standorten aktiv seien, davon an 19 Orten in Europa. In Deutschland betreiben die USA demnach zwei SCS-Einheiten. Neben der US-Botschaft sei auch das Konsulat in Frankfurt ein Agentenstützpunkt.

Die Bundesregierung verneint zwar derzeit noch eigene Kenntnisse. Aber völlig ahnungslos scheinen die Sicherheitsbehörden hierzulande nicht zu sein. Im September wurden von einem Hubschrauber des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Dachaufbauten des Konsulates in Frankfurt fotografiert. Entsprechende Berichte wurden damals von der Bundesregierung bestätigt. Der „Spiegel“ vermutet jetzt unter Verweis auf Experten, dass auch ein Dachaubau des Berliner Gebäudes ausschließlich Spionagezwecken dient. Der Aufbau weise dem Bericht zufolge fensterartige Einbuchtungen auf, die nicht mit Glas versehen, sondern mit einem speziellen Material blickdicht ausgefüllt worden seien, das selbst für schwache Signale noch durchlässig sei. Dahinter, so die Annahme, sei die Abhöreinrichtung angebracht. Infrarot-Aufnahmen, die eine erhöhte Wärmeabstrahlung dokumentieren, dienen auch als Indiz.

Die Botschaften sind dem Zugriff deutscher Strafverfolgung aber entzogen

Die Bundesregierung will den Bericht noch nicht bewerten. Man treibe die Aufklärung „mit aller Kraft“ voran, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die neu aufgeworfenen Fragen seien Bestandteil des Aufgabenkatalogs, mit dem eine hochrangig besetzte Regierungsdelegation noch in dieser Woche in die USA reise.

Abhöreinrichtungen auf dem Dach der US-Botschaft würden die ohnehin schwierige Lage weiter verkomplizieren. Spionage mag zwar ein Straftatbestand sein, die Botschaften sind dem Zugriff deutscher Strafverfolgung aber entzogen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes verwies darauf, dass das Gelände einer ausländischen Botschaft nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehung „unverletztlich“ sei. Allein der Botschafter dürfe den Zutritt auf das Gelände und ins Gebäude erlauben. Auch die Bundesanwaltschaft, die in dieser Angelegenheit bereits einen sogenannten Prüfvorgang angelegt hat, ist nicht in der Lage, den Zutritt zu erzwingen.

Deutschland setzte fünf libysche Diplomaten vor die Tür

Die deutschen Ermittler sind also auf den guten Willen der USA angewiesen. Oder aber das Auswärtige Amt greift zu einem drastischen Mittel, um Druck auszuüben: Es erklärt den US-Botschafter oder einige seiner Mitarbeiter zu „unerwünschten Personen“ (im Diplomatenjargon: persona non grata). Den Mitarbeitern würde eine Frist gesetzt, innerhalb derer sie das Land zu verlassen haben. Blieben sie in Deutschland, verlören sie nach Ablauf dieser Frist ihre Immunität.

Beispiele für ein solches Vorgehen gibt es durchaus. Im April 2011 setzte Deutschland auf diese Weise fünf libysche Diplomaten vor die Tür. Den Anhängern des früheren libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi war eine Frist von sieben Tagen gesetzt worden, das Land zu verlassen, weil der Bundesverfassungsschutz ihnen illegale nachrichtendienstliche Aktivitäten vorworfen hatte. Die Ausweisung gilt allerdings als „letztes Mittel“ und würde im Falle der USA zu einer weitere Verhärtung der Beziehungen mit unabsehbaren Folgen führen. Außerdem wäre damit noch immer nicht das Problem gelöst, dass deutsche Ermittler keinen Zutritt auf das Gelände erzwingen können.

Gleichwohl brachte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eine Ausweisung ins Spiel. Dem Sender N24 sagte er, man könne spionierende Diplomaten „des Landes verweisen“. Sollten Schuldige gefunden werden, würden sie „zur Rechenschaft gezogen“, so Friedrich.