Die vom NSU-Untersuchungsausschuss vermissten Akten aus Baden-Württemberg sind geliefert worden. Neun Ordner füllt der Austausch mit „Krokus“. In dieser Woche können die Ausschussmitglieder mit dem Lesen des umfangreichen Materials beginnen.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Berlin/Stuttgart - Die Unterlagen über eine frühere V-Person des baden-württembergischen Verfassungsschutzamtes mit dem Decknamen Krokus sind am Donnerstag im Büro des Berliner NSU-Ausschusses angekommen. Das teilte am Montag der Innenminister Reinhold Gall (SPD) mit. In dieser Woche können die Ausschussmitglieder mit dem Lesen des umfangreichen Materials beginnen. Gall weist den in der Berichterstattung der Stuttgarter Zeitung am Montag wiedergegebenen Vorwurf verschiedener Ausschussmitglieder zurück, Baden-Württemberg behindere die Zusammenarbeit.

 

Der Beweismittelbeschluss, in dem die Herausgabe der Krokus-Akten formuliert wurde, datiert vom 25. April. Der Ausschussvorsitzende und Parteifreund Galls, Sebastian Edathy, betonte gestern, eine von ihm ausgesprochene Mahnung, verbunden mit einer Zusendefrist gegenüber Gall, habe es nicht gegeben. In einem Telefonat in der Woche vor Pfingsten habe er Gall an die ausstehende Aktenzusendung lediglich erinnert. Laut Gall wiederum ist bei diesem Telefonat der 23. Mai als Zusendetermin fest vereinbart worden.

Galls Vorladung „im Bereich des Möglichen“

Merkwürdig bleibt, weshalb sogar Obleute im NSU-Ausschuss davon offenbar nicht oder unzureichend unterrichtet waren. Der Sindelfinger CDU-Abgeordnete Clemens Binninger sagte am Montag, er habe von der Ankunft der Krokus-Akten bis Büroschluss am Freitag nichts gewusst. Ohnehin sei dem baden-württembergischen Innenministerium bekannt gewesen, dass der Ausschuss bereits am 16. Mai zum letzten Mal getagt habe und spätestens zu diesem Zeitpunkt die Aktenkenntnis benötigt hätte. Auch der FDP-Obmann im Ausschuss, Hartfrid Wolff, Abgeordneter des Rems-Murr-Kreises, ist ungehalten. Gegenüber dpa sagte er: „Gall sollte sich schnellstmöglich gegenüber dem Untersuchungsausschuss erklären, wie es kommen konnte, dass relevante Akten erst so spät und erst nach der letzten Vernehmungssitzung des Untersuchungsausschusses zugesandt wurden.“ Sollte der Ausschuss beschließen, erneut in die Beweisaufnahme einzutreten, sei sogar eine Vorladung Galls „im Bereich des Möglichen“. Der Grünen-Innenexperte im Stuttgarter Landtag, Uli Sckerl, forderte, Gall müsse alles tun, um zur Aufklärung beizutragen.

Laut dem Innenminister ist der NSU-Ausschuss bereits mit Schreiben vom 14. August 2012 erstmals auf die Existenz von Krokus hingewiesen worden, am 27. August seien auch „die ersten Akten“ dazu nach Berlin gesandt worden. Zudem, sagt Gall, sei der Ständige Ausschuss im Landtag im Herbst des vergangenen Jahres von ihm über den Informanten Krokus unterrichtet worden. Ein Sprecher des Innenministeriums fügte am Montag hinzu, die große zeitliche Verzögerung habe damit zu tun, dass die Bundesanwaltschaft als ermittlungsführende Stelle in Sachen NSU erst grünes Licht habe geben müssen.

Schwierigkeiten auch schon 2012

Aus Abgeordnetenkreisen heißt es, bereits im Sommer 2012 sei es nur unter Schwierigkeiten gelungen, von Baden-Württemberg Akteneinsicht zu einem anderen Fall zu bekommen. Die Zusendung angeforderter Papiere sei mit dem Hinweis verweigert worden, sie hätten nichts mit dem NSU-Komplex zu tun. Zwei Parlamentarier sind schließlich selber zum Landeskriminalamt nach Stuttgart gereist und durften nur unter Aufsicht lesen.

Wie die Stuttgarter Zeitung aus Ermittlerkreisen erfuhr, handelt es sich bei Krokus um eine Frau, die mehrere Jahre im Auftrag des Verfassungsschutzamtes Informationen aus der rechtsextremen Szene beschafft haben soll. Etwa 2010 sei sie „abgeschaltet“ worden. In Dutzenden E-Mails seit 2011 macht ein Schreiber, der sich „Verlobter“ von Krokus nennt und sich seit 2012 in Irland aufhalten will, den baden-württembergischen Behörden schwere Vorwürfe. Mehrere Hinweise seiner Partnerin auf eine Mittäterschaft von Rechtsextremisten an der Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 seien systematisch unterdrückt worden, es habe eine undichte Stelle der Sicherheitsbehörden zu den NSU-Terroristen gegeben.

„Krokus“ und ihr polizeibekannter Freund

Ob das Pärchen noch zusammen lebt, ist unklar. Bei dem E-Mail-Schreiber soll es sich laut Insiderkreisen um einen gewissen A.G. handeln, einen Mann, der sich eine Zeit lang in einem Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamts Baden-Württemberg aufhielt. Allerdings soll das nicht im Zusammenhang mit den NSU-Umtrieben geschehen sein. Zudem soll der Mann von verschiedenen Staatsschutzabteilungen baden-württembergischer Polizeidirektionen als Informant herangezogen worden sein. Er galt den Beamten, die mit ihm zu tun hatten, so heißt es, jedoch stets als unzuverlässig und schwer einzuschätzen.

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