Mit ihrer Fallanalyse zu den Morden an acht Deutschtürken und einem Deutschgriechen lagen die Fachleute vom Landeskriminalamt im Jahr 2007 voll daneben. Das Thema Rechtsextremismus spielte für sie keine Rolle.

Stuttgart - Nur in einer Fußnote waren die Fallanalytiker des Stuttgarter Landeskriminalamts (LKA) den NSU-Mördern ein Stück näher gekommen. In der Anfang 2007 fertig gestellten „Gesamtanalyse der bundesweiten Serie von Tötungsdelikten an Kleingewerbetreibende mit Migrationshintergrund“ streifte das achtköpfige Profiler-Team den Gedanken an einen „missionsgetriebenen Tätertyp“, der aus der fixen Vorstellung heraus handle, dass die Welt von bestimmten Menschen befreit werden müsse. Damit war noch nicht explizit der rechtsextremistische Kontext angesprochen, aber diese Deutung wäre ein erster Schritt gewesen – hin zu der Erkenntnis, dass hinter den Mordtaten Ausländerhass steckte und nicht organisierte Kriminalität. So blieb es bei Fußnote 26 auf Seite 88 einer Studie, die dem LKA keinen Ruhm, dafür die Empörung der Opferangehörigen einbrachte.

 

Die Mär von kriminellen Einwanderern

Im September 2006 hatten sich die Ermittler der Sonderkommission „Bosporus“ an die Stuttgarter gewandt – mit der Bitte um eine Einschätzung zu dem damals bereits neun Morden an acht Deutschtürken und einem Deutschgriechen. Zuvor hatte erstmals die bayerische Polizei rechtsterroristische Motive für die Mordserie erwogen. Ein Profiler kam zu dem Schluss, es handle sich um zwei Täter, die sich nahe stünden und aus der rechten Szene stammten. Die Kollegen in Stuttgart, welche die vorangegangenen Studien aus Gründen der Unvoreingenommenheit außer Acht ließen, kamen zu einem anderen Ergebnis. Sie konstatierten bei den Opfern vielmehr „Geldprobleme und somit Empfänglichkeit für risikobehaftete und gegebenenfalls illegale Tätigkeiten, unter anderem Glücksspiel“. Außerdem attestierten sie den Opfern eine „undurchsichtige Lebensführung“ – mit Aktivitäten im Drogenmilieu.

Es war die alte Mär von einem Einwanderermilieu, das sinistre, gar kriminelle Geschäfte betreibt. Vom ersten Opfer, dem im Jahr 2000 in Nürnberg mit neun Schüssen erbarmungslos niedergestreckten Blumenhändler Enver Simsek, nahmen die Ermittler an, er habe bei seinen Einkaufstouren in Holland Drogenstreckmittel besorgt.

Auf dem rechten Auge blind?

Simseks Tochter Semiya schreibt in ihrem gerade erschienenen Buch „Schmerzliche Heimat“: „Ich frage mich nur, warum nach all den Misserfolgen niemals Fremdenhass als Motiv in Erwägung gezogen, warum nie in diese Richtung ermittelt wurde.“ Statt dessen war die Polizei zunächst von einer Beziehungstat ausgegangen; den Hinterbliebenen wurde weisgemacht, Simsek habe eine deutsche Geliebte gehabt, die Wohnung wurde durchsucht, die Witwe immer wieder verhört.

Den Stuttgarter Fallanalytikern kann zugute gehalten werden, dass sie nicht selbst ermittelten, sondern Ermittlungserkenntnisse auswerteten. Doch die Studie, die daraus entstand, ist für Semiya Simsek selbstgefällig und geprägt von „Verachtung gegenüber anderen Kulturkreisen“. So heißt es an einer Stelle: „Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist.“ Als ob Morden dem Kulturraum Deutschland fremd wäre.

Letztlich vermuteten die Stuttgarter Profiler hinter den Taten eine nicht allzu große, mafiös strukturierte Bande, die Abweichler und Abtrünnige liquidiert. „Die Täter werden als kriminelle Gruppe gesehen, die durch eine archaische Norm- und Wertestruktur mit rigiden Regeln der Status- und Machterhaltung geprägt ist.“ Dass die meisten Morde im Sommerhalbjahr begangen wurden, lege die Vermutung nahe, dass sich die Täter im Winter im Ausland aufhielten. „Auch spricht der die Gruppe prägende rigide Ehrenkodex eher für eine Gruppierung im ost- bzw. südosteuropäischen Raum (nicht europäisch-westlicher Hintergrund).“

Verbindung zum Ku-Klux-Klan

Mit ihrer Fallanalyse lagen die Stuttgarter Profiler daneben. Das kann passieren. Doch die Geschichte der NSU-Ermittlungen hat auch Misstrauen in die Objektivität der Behörden evoziert – und verstärkt. Semiya Simsek schreibt in ihrem Buch über die Ku-Klux-Klan-Verbindungen baden-württembergischer Polizisten: „Enthüllungen wie jene über zwei Polizisten aus Baden-Württemberg, die als Mitglieder des rassistischen Geheimbunds Ku-Klux-Klan enttarnt wurde und trotzdem weiter für die Polizei arbeiten dürfen, rauben mir alle Sicherheit. Wenn ein staatlicher Behördenapparat das erlaubt, dann erscheint einem alles vorstellbar.“

Gall bildet Ermittlungsgruppe

Anfang Januar hat beim LKA die Ermittlungsgruppe „Umfeld“ ihre Arbeit aufgenommen. Sie klärt ab, zu welchem Zeitpunkt die Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt welche Verbindungen in den Südwesten unterhielten – zu den „Spätzles“, wie Mundlos seine hiesigen Gesinnungskumpel nannte. Bekannt sind Kontakte nach Ludwigsburg und ein Aufenthalt in Stuttgart, wo die beiden offenbar ein Anschlagsziel auskundschafteten. Es gibt auch einen Hinweis auf eine Verbindung des NSU zum Ku-Klux-Klan. Vielleicht, so hoffen die Ermittler, lassen sich ja auch noch die Hintergründe des Mordes an die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn aufhellen. Einen konkreten strafprozessualen Hintergrund habe der Einsatz der Ermittlungsgruppe nicht, heißt es im Innenministerium. Es gehe um einen Gesamtüberblick. Bisher seien keine echten Versäumnisse der Behörden erkennbar. Jüngst informierte Innenminister Reinhold Gall (SPD) den Landtag. Im April ist die Baden-Württemberg-Connection des NSU das Thema im Untersuchungsausschuss des Bundestags.