Berlins Innensenator Frank Henkel gesteht in der Affäre um einen V-Mann bei der NSU-Mordserie Fehler ein und weist den Vorwurf der Lüge zurück.

Berlin - Mit einer Mischung aus Selbstkritik und Vorwärtsverteidigung sucht Berlins Innensenator Frank Henkel einen Ausweg aus der Affäre um die Aufklärung der NSU-Mordserie. In einer Sondersitzung des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus rechtfertigte der CDU-Politiker am Dienstag sein monatelanges Schweigen gegenüber dem Parlament mit einer Geheimhaltungsbitte seitens des Generalbundesanwalts.

 

Gleichzeitig gestand er in diesem Punkt Fehler ein. „Aus heutiger Sicht hätte ich einiges anders gemacht“, sagte Henkel. „Wir hätten offensiver und klarer informieren und kommunizieren müssen. Er bedaure zutiefst, dass bei den Mitgliedern des NSU-Untersuchungsauschusses im Bundestag der Eindruck entstanden sei, das Land Berlin enthalte ihnen Erkenntnisse vor.

Seit März vom V-Mann gewusst

In der Affäre geht es um den vom Berliner Landeskriminalamt geführten V-Mann Thomas S., der den Behörden seit 2002 mehrfach Informationen über einen Kontaktmann gab, der angeblich Verbindungen zu der damals untergetauchten Thüringer Terrorzelle hatte. Wie erst jetzt bekannt wurde, wusste Henkel bereits im März nach einer Anfrage des Generalbundesanwaltes von dieser Vertrauensperson – und Berlin gab die Informationen weder an den Untersuchungsausschuss noch an den Innenausschuss des Abgeordnetenhauses weitert. Allerdings informierten die Berliner umfassend den Generalbundesanwalt, also die mit dem Fall befasste Strafverfolgungsbehörde. Als die Affäre am vorigen Donnerstag bekannt wurde, sagte Henkel im Parlament auf eine entsprechende Frage eines Grünen-Abgeordneten: „Ich bin damit, genau wie Sie, erst heute konfrontiert worden.“ Dies musste er tags drauf korrigieren, da er seit März davon wusste.

Vor dem Innenausschuss legten Henkel und die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers nun ausführlich die Abläufe dar und erklärten die Gründe für die Geheimhaltung. Danach folgte Berlin einer Bitte der Generalbundesanwaltschaft, die Erkenntnisse zunächst nicht weiterzugeben um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Berlin habe alle Erkenntnisse an den Generalbundesanwalt übermittelt. Das Land sei davon ausgegangen, dass die Generalbundesanwaltschaft gegebenenfalls den Bundestagsausschuss informiere – dies sei Ende Juli auch geschehen.

Werben um Verständnis für die besondere Situation

Koppers betonte außerdem: Der erste Beweisbeschluss, mit dem der Untersuchungsausschuss im März alle Länder aufgefordert habe, Akten zur Verfügung zu stellen, habe sich nur an den Verfassungsschutz gerichtet – nicht an die Polizei. Der V-Mann war beim Berliner LKA geführt worden. Erst der zweite Beweisbeschluss vom Juli habe sich an die Polizei gerichtet.

Koppers und Henkel warben um Verständnis für die besondere Situation im Fall der NSU-Mordserie und räumten dabei eine mögliche politische Fehleinschätzung ein: Henkel sagte, er habe sich zwischen der Bitte der Generalbundesanwaltschaft und den Ansprüchen des Ausschusses in einem Ziel- und Interessenkonflikt befunden. Die Polizei sei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Information an den Ausschuss das Leben den Informanten gefährdet hätte. An diese Einschätzung habe er sich gebunden gefühlt. Er müsse sich aber nun persönlich die Frage stellen, ob man nicht hätte einen Weg finden müssen das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Mit der gebotenen Sensibilität hätten die Akten früher dem Untersuchungsausschuss übergeben werden müssen. „Dass dies nicht geschehen ist, bedaure ich.“

Koppers verwies auf das „einzigartige Konkurrenzverfahren zwischen der höchsten Strafverfolgungsbehörde und einem noch während laufender Ermittlungsverfahren eingesetzten Untersuchungsausschuss“. Sie sagte: „Es wäre unerträglich gewesen, Ermittlungen zu gefährden, wodurch im schlimmsten Fall eine Verurteilung der Täter verhindert worden wäre.“

Die Opposition im Senat ist nicht beruhigt

Die Opposition im Abgeordnetenhaus zeigte sich mit den Erklärungen Henkels nicht zufrieden. Der Senator habe insbesondere die Frage unbeantwortet gelassen, weshalb er das Parlament noch am vergangenen Donnerstag nicht korrekt informiert habe, erklärten Vertreter der Grünen und der Piratenfraktion. Kritik kam auch weiter von der Bundesebene. Die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei), die zugleich unter den Obleuten im Untersuchungsausschuss ist, warf Henkel vor, die Aufklärung zu verhindern, den Bundestag zu düpieren und die Opfer zu verhöhnen. Sie forderte auch den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) auf, sich zu den Vorgängen zu äußern.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, sagte „Handelsblatt Online“, sollte das Landeskriminalamt „Informationen über das Neonazi-Trio für sich behalten haben, ist das möglicherweise ein strafbares Verhalten“. Berlin habe zweimal die Frage nach Erkenntnissen verneint. Beck nannte dies eine Lüge. Dafür trage Henkel die politische Verantwortung.