Der Richter ermuntert Carsten S., ausführlich auszusagen. Der erinnert sich weitschweifig an viele Einzelheiten, weil er reinen Tisch machen will. Dass er den Terroristen eine Waffe für Morde besorgt hat, wollte er jedoch nicht wahrhaben

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Holger G. hatte sich in der vergangenen Woche bei den Opfern der NSU-Mörder entschuldigt. Er ist der Erste und Einzige bis jetzt in diesem NSU-Verfahren gewesen. Die Erklärung war vorbereitet, aber jetzt sagt er nichts mehr, was etliche Anwälte der Hinterbliebenen und Nebenkläger mehr als bedauerlich finden. Holger G. habe, sagt ein Opfer-Anwalt, die Möglichkeit, zur Aufklärung beizutragen, doch zieht er sich lieber wieder ins Schweigen zurück. Statt seiner redet noch mal Carsten S., der 33-jährige Sozialpädagoge, der sich vorgenommen hat, „reinen Tisch“ zu machen, was auch heißt, dass er jedes Erlebnisdetail seiner Neonazi-Werdung einzeln erzählt: Kirmesschlägerei in Stadtroda Ende der neunziger Jahre, der Stolz auf das rote Tuch der Pioniere Anfang der Neunziger, dann stellte sich aus historischen Gründen die Pioniersfrage nicht mehr. Carsten S. redet und redet (vom Turnen, vom Briefmarkensammeln und von seiner Faszination als Jugendlicher für das „Dunkle des Dritten Reiches“).

 

Richter Manfred Götzl, der sich schon ungeduldiger präsentiert hat, lässt Carsten S. im Münchner Oberlandesgericht noch einmal weitschweifig werden („Berichten Sie!“); er tut zumindest so, als sei er an jedem Detail eines ehemaligen Aufnähers der Jungen Nationaldemokraten (JN) auf der Jacke von Carsten S. interessiert. Womöglich ist er froh, dass überhaupt jemand von den Angeklagten (außer purem Selbstmitleid) etwas halbwegs Substanzielles sagt in diesem Prozess.

Zschäpe kaut mit Hingabe Kaugummi

Wie Holger G. scheint auch Carsten S. erst allmählich zu begreifen, wohin alles geführt hat, nachdem er die Mordwaffe übergeben hatte. Wesentliches habe er stets „weggedrängt“, sagt er, so auch die Tatsache, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihm gegenüber einmal erwähnt hatten, dass – offenbar im Zusammenhang mit dem Mord in Nürnberg – sie „in einem Schaufenster eine Taschenlampe“ aufgestellt“ hätten. Carsten S. dachte an Sprengstoff, fragte aber nicht weiter. Später sei dann Beate Zschäpe zu dieser Runde gestoßen. Die „beiden Uwes“ hätten gesagt: „Pst, damit sie nichts mitbekommt.“ Diese Aussage würde Beate Zschäpe entlasten, da die Bundesanwaltschaft davon ausgeht, dass sie an allen organisierten Mordtaten beteiligt gewesen sein könnte. Zschäpe kaut mit Hingabe Kaugummi.