Viele Hinterbliebene empfinden das Auftreten von Beate Zschäpe im NSU-Prozess als Zumutung. Und nicht nur das. Die Ombudsfrau der Angehörigen spricht von einem „Vergraulprogramm“.

München - Das Auftreten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe zu Beginn des Münchner NSU-Prozesses stößt bei den Angehörigen der Mordopfer auf Kritik. Auch die einwöchige Unterbrechung des Verfahrens unmittelbar nach dem Start löst Unverständnis aus. Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John, forderte das Gericht auf, möglichst schnell die Anklageschrift zu verlesen.

 

Bisher würden die Nebenkläger den Prozess wegen der ständigen Verschiebungen als ein „Vergraulprogramm“ wahrnehmen, sagte John den „Lübecker Nachrichten“ (Mittwoch). Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes, Winfried Hassemer, hält die Kritik dagegen für unangemessen. „Es ist völlig normal, dass zu Beginn eines großen Strafprozesses Befangenheitsanträge gestellt werden“, sagte er dem Blatt. Und es sei völlig normal, dass der Senat sich hinreichend Zeit nehme, um über die Anträge zu beraten und zu entscheiden.

Auf eine menschliche Regung von Zschäpe gehofft

Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) äußerte großes Verständnis für die hohe Erwartungshaltung der Opferangehörigen. Sie verstehe deshalb auch die Enttäuschung vieler über die Unterbrechung des Prozesses und den Aufschub bis kommende Woche, erklärte Lieberknecht am Dienstag in Erfurt. Sie hätten das Recht zu erfahren, was tastsächlich passiert sei und welche Hintergründe die Morde haben.

Die Tochter eines Mordopfers, Gamze Kubasik, hatte zum Prozessauftakt auf eine menschliche Regung von Zschäpe gehofft, nachdem es so viel Öffentlichkeit um die Morde und die Angehörigen gab. „Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass dort jemand sitzt, der über ein Jahr in U-Haft ist“, sagt Kubasik der Nachrichtenagentur dpa. „Weil sie so gelassen war und provokativ gelacht hat.“ Dass die Verhandlung unterbrochen wurde, schockte die 27-Jährige aus Dortmund. „Weil ich mich schon emotional und seelisch auf diesen Prozess vorbereitet habe - es ist nicht leicht.“

Der Berliner Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, der zwei Opferfamilien im NSU-Prozess vertritt, bezeichnete das Auftreten von Zschäpe als „selbstbewusst bis arrogant“. „Sie schien sich im Glanz der Kameras zu sonnen und genoss es offenbar, im Mittelpunkt zu stehen“, sagte er der „Berliner Zeitung“ (Dienstag). Er kritisierte die Befangenheitsanträge der Verteidigung gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl als offenkundig unbegründet.

Verhandlung soll am 14. Mai fortgesetzt werden

Der ehemalige Bundesrichter und fraktionslose Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic sprach dagegen vom „Standardprogramm in großen Strafprozessen“. Zugleich warnte er in der Zeitung vor falschen Hoffnungen auf einen raschen Fortgang der Hauptverhandlung: „Die Öffentlichkeit wird sich daran gewöhnen müssen, dass sich der Prozess nach der Strafprozessordnung richtet und nicht nach Wünschen der Öffentlichkeit selbst.“

Die Befangenheitsanträge hatten schon am ersten Prozesstag zu einer Unterbrechung der Verhandlung für eine Woche gesorgt. Sie soll nun am 14. Mai fortgesetzt werden. Neben Zschäpe müssen sich vier mutmaßliche Helfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) in dem Prozess verantworten, der als einer der bedeutendsten in der Geschichte der Bundesrepublik gilt.

Zschäpe soll mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den NSU gebildet haben, der für zehn Morde zwischen 2000 und 2007 verantwortlich gemacht wird. Ihr droht lebenslange Haft. Ihre beiden Komplizen hatten sich im November 2011 selbst getötet, um einer Festnahme zu entgehen.