Auch Götzl vergisst manchmal das Lehrbuch, wenn er sich geärgert hat – beispielsweise am Dienstag, nachdem die Anwälte begründete Zweifel an der Qualität eines wichtigen Belastungszeugen säen konnten, einem Vernehmungsbeamten, der nicht professionell vernommen hatte. Das stört fürs Urteil. Dann kann es passieren, dass der Vorsitzende plötzlich einen ganz anderen Zeugen anraunzt, nur weil er nicht das zu hören bekommt, was er hören will. Das verunsichert den Zeugen erkennbar weit mehr als jede Suggestivfrage.

 

Bei Götzls Befragungen vergisst man so leicht: Zeugen sind die schlechtesten Beweismittel, die es gibt. Der Mann ist auf die Zeugen aber angewiesen: Für die alles entscheidende Frage, ob Beate Zschäpe Täterin oder nur Helferin war, gibt es keine anderen Beweise.

Götzl, der gefürchtete Richter, der so gerne und sonst so schnell einmal laut wird, nimmt sich in diesem Prozess zusammen. Man sieht ihm manchmal an, wie schwer ihm das fällt. Beispielsweise wenn dieser Anwalt aus Köln, anders als die meisten Nebenklägervertreter, wieder mal nervt und gegen die Strafprozessordnung, gegen Götzls Ordnung, rebelliert. Das sind dann die Augenblicke, an denen Götzl ein bisschen lauter wird, lauter, als es einem souveränen Richter guttut. Aber er heilt das sofort, indem er lächelt, einen Hauch von Selbstironie zeigt. Vor allem aber hat Götzl ein einfaches, aber wirksames Mittel: „So jetzt machen wir fünf Minuten Pause, damit sich die Gemüter beruhigen können.“ Es funktioniert; man glaubt es nicht.

Es fehlen die ebenbürtige Kontrahenten im Gerichtssaal

Götzl hat, zu Beginn sprach wenig dafür, diesen Monsterprozess in halbwegs geordnete Bahnen gebracht. Das ist eine Menge. Dies gelingt Götzl freilich nur deshalb, weil ebenbürtige Kontrahenten im Gerichtssaal fehlen. Die großen, alten Strafverteidiger, die mit ihrer Persönlichkeit eine Verhandlung prägen konnten, sind diesmal nicht dabei: weder die, die in der Lage sind, für ihre Mandanten zu werben, gesellschaftliche Bezüge herauszuarbeiten, noch jene, die zur Konfrontation bereit wären. Die Nebenklägervertreter arbeiten meist professionell, auch engagiert, aber nicht charismatisch. Die Bundesanwälte bleiben im Saal blass, querulieren allenfalls ein bisschen herum.

Allzu oft sagen die Zeugen einfach Ja

Schon wieder ein Ritual. Denn natürlich führt Götzl, gerade weil er so präzise fragen kann, jeden Zeugen in die Nähe des Meineids. Alle Richter tun dies. Wenn sich ein Zeuge nicht erinnern kann, dann fragt Götzl, der ja die Akten mit all den früheren Aussagen vor sich hat, immer wieder nach, ob sich der Zeuge nicht doch noch an dieses Detail erinnern könne oder an jenes. Und allzu oft sagen die Zeugen dann: Ja. Sie sagen Ja zu Details, bei denen man außerhalb des Gerichtssaals sich schwer vorstellen kann, dass ein normaler Mensch sie nach Jahren noch erinnert – vor allem aber, dass er noch auseinanderhalten kann, was damals war, was er später zu Protokoll gegeben hat, was er x-mal erzählt hat und was er derweil in den Medien gelesen und im Fernsehen betrachtet hat.

Bei Polizeibeamten kommt hinzu, dass sie, anders als gewöhnliche Zeugen, kurz vor der Vernehmung ihre eigenen Akten noch einmal lesen dürfen, nein: lesen sollen. Eine Stunde lang hält Götzl am Dienstag einem BKA-Beamten jede einzelne Formulierung aus dessen Jahre zurückliegendem Vernehmungsprotokoll vor. „Erinnern Sie sich?“ Und jedes Mal erinnert sich der Beamte brav. Bis endlich deutlich wird, woran sich der Beamte erinnert: an das, was er kurz zuvor im eigenen Protokoll noch einmal gelesen hatte, denn „natürlich“ habe er es vor der Vernehmung noch einmal studiert, bekennt er. Absurdes Theater eben.

Der Richter raunzt manchmal den einen oder anderen an

Auch Götzl vergisst manchmal das Lehrbuch, wenn er sich geärgert hat – beispielsweise am Dienstag, nachdem die Anwälte begründete Zweifel an der Qualität eines wichtigen Belastungszeugen säen konnten, einem Vernehmungsbeamten, der nicht professionell vernommen hatte. Das stört fürs Urteil. Dann kann es passieren, dass der Vorsitzende plötzlich einen ganz anderen Zeugen anraunzt, nur weil er nicht das zu hören bekommt, was er hören will. Das verunsichert den Zeugen erkennbar weit mehr als jede Suggestivfrage.

Bei Götzls Befragungen vergisst man so leicht: Zeugen sind die schlechtesten Beweismittel, die es gibt. Der Mann ist auf die Zeugen aber angewiesen: Für die alles entscheidende Frage, ob Beate Zschäpe Täterin oder nur Helferin war, gibt es keine anderen Beweise.

Götzl, der gefürchtete Richter, der so gerne und sonst so schnell einmal laut wird, nimmt sich in diesem Prozess zusammen. Man sieht ihm manchmal an, wie schwer ihm das fällt. Beispielsweise wenn dieser Anwalt aus Köln, anders als die meisten Nebenklägervertreter, wieder mal nervt und gegen die Strafprozessordnung, gegen Götzls Ordnung, rebelliert. Das sind dann die Augenblicke, an denen Götzl ein bisschen lauter wird, lauter, als es einem souveränen Richter guttut. Aber er heilt das sofort, indem er lächelt, einen Hauch von Selbstironie zeigt. Vor allem aber hat Götzl ein einfaches, aber wirksames Mittel: „So jetzt machen wir fünf Minuten Pause, damit sich die Gemüter beruhigen können.“ Es funktioniert; man glaubt es nicht.

Es fehlen die ebenbürtige Kontrahenten im Gerichtssaal

Götzl hat, zu Beginn sprach wenig dafür, diesen Monsterprozess in halbwegs geordnete Bahnen gebracht. Das ist eine Menge. Dies gelingt Götzl freilich nur deshalb, weil ebenbürtige Kontrahenten im Gerichtssaal fehlen. Die großen, alten Strafverteidiger, die mit ihrer Persönlichkeit eine Verhandlung prägen konnten, sind diesmal nicht dabei: weder die, die in der Lage sind, für ihre Mandanten zu werben, gesellschaftliche Bezüge herauszuarbeiten, noch jene, die zur Konfrontation bereit wären. Die Nebenklägervertreter arbeiten meist professionell, auch engagiert, aber nicht charismatisch. Die Bundesanwälte bleiben im Saal blass, querulieren allenfalls ein bisschen herum.

Götzl zeigt außer den kurzen Anschnauzern keine Emotionen. Und er weckt keine Emotionen. Andernorts versuchen Richter väterlich auf Angeklagte einzuwirken; oder sie lassen ihre Macht und ihre Abscheu erkennen; sie locken mit dem Zuckerbrot der Strafmilderung bei einem Geständnis. Beim jüngsten Linksterroristen- Prozess in Stuttgart hat der Richter die RAF-Täter immer wieder angefleht, reinen Tisch zu machen – übrigens vergeblich. Das ist Götzls Ding nicht. Im Münchner Gerichtssaal sind die Funktionäre des Rechts unter sich.

Der Getriebene sucht die Wahrheit

Und doch ist Götzl ein Getriebener. Die furchtbaren Verbrechen, die in München aufzuklären sind, sind so komplex nun auch wieder nicht. Jeder größere Wirtschaftsstrafprozess bereitet da mehr Schwierigkeiten. Götzl aber hat der Bundesanwaltschaft nachgegeben, die mehrere Hundert Zeugen hören will. Nicht alle sind zwingende Zeugen. Die Frau etwa, die eine Leiche dort gesehen haben will, wo sie nachweislich überhaupt nicht hineinschauen konnte, war es nicht. Der Beamte, der ihretwegen vernommen werden musste, war es auch nicht. Götzl hat in Wahrheit dem öffentlichen Druck nachgegeben, in diesem Strafprozess ein Ausmaß der historischen Wahrheitsfindung zu betreiben, die nicht die Aufgabe eines Strafprozesses sein kann. Das macht es nicht leichter.

Aber Götzl wird diesen Prozess zu Ende bringen. Im Zweifelsfall revisionssicher. Er ist eben ein Perfektionist. Und er ist ein strenger Richter. Auf den Vorsitzenden Richter kommt es freilich nur in einer Richtung an. Ein schwacher Richter kann einen Prozess völlig gegen die Wand fahren. Aber selbst der beste Richter bietet keine Gewähr dafür, dass sein Urteil am Ende der Wahrheit nahekommt, womöglich gar ein gerechtes Urteil ist. Das übersteigt auch seine Kräfte. Er kann nämlich nur über das urteilen, was er zu beweisen können glaubt. Und das wird gerade in München ziemlich weit weg von dem sein, was die Wahrheit ist, die ganze Wahrheit.