Der angeklagte Ralf Wohlleben hat im NSU-Prozess ausgesagt: Der 40-Jährige bestreitet, für die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ die Pistole beschafft zu haben.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Ralf Wohlleben ist mittlerweile vierzig Jahre alt, sitzt seit Ende 2011 in Untersuchungshaft, war lange führendes Mitglied der NPD in Thüringen, ist wegen Körperverletzung vorbestraft und gilt der Bundesanwaltschaft als „steuernde Zentralfigur“ innerhalb des ganzen NSU-Komplexes. Angeklagt ist er wegen der Beihilfe zum Mord in neun Fällen. Am Mittwochmittag ergreift er das Wort im Prozess am Oberlandesgericht München, eine Woche nach der von ihrem Anwalt verlesenen Aussage Beate Zschäpes.

 

Wohllebens Einlassung wiederum ist seit einiger Zeit von seinen Anwälten Nicole Schneiders und Olaf Klemke angekündigt worden, aber jetzt geht es doch fast überstürzt zu. Schneiders sagt, Wohlleben werde gegen „dreiste Lügen“ vorgehen und in einem „Akt der Notwehr“ einiges „klarstellen“. Neben Wohlleben sitzt seine Frau. Wohlleben zittert ein wenig, er redet sehr schnell. Anderthalb Jahre „in Isolationshaft“, stellt er voran, hätten ihn geschädigt. Manchmal stottere er.

Er stottert dann aber gar nicht. Biografisch erzählt Wohlleben nichts, was nicht bekannt wäre. Er wird 1975 in Jena geboren und „streng, zu streng“ erzogen, was ihn 1992 von zu Hause ausreißen lässt. Er wohnt im Heim in Gera und macht eine Ausbildung zum Tischler. Im Jahr 2002 lernt er seine Frau Jaqueline kennen, 2004 und 2006 werden Töchter geboren. Beruflich versucht sich Wohlleben in einer Reinigung und in einem Teppichfachmarkt. Sein Interesse an Computern wird stärker.

Die Aussage ist gedrechselt abgefasst

An Politik hat er „schon in frühen Jahren viel Interesse“. Als Erich Honecker zurücktritt (Wohlleben ist 14 Jahre alt), sitzt er vor dem Radio und geht auf Montagsdemonstrationen. Wohlleben spürt, wie er sagt, einen großen Nationalstolz, der ja „ integraler Bestandteil der DDR-Erziehung“ gewesen sei. Dadurch fühlt er sich denen zugehörig, die „heute als rechts gelten“. Man trägt Replay-Klamotten und hört die Böhsen Onkelz. Beeindruckt, wie organisiert die NPD arbeitet, orientiert sich Wohlleben dorthin, befreundet sich mit André Kapke. Er ist kein Skin. Wohlleben trägt bis heute Scheitel. Tino Brandt, Nazi und V-Mann, sucht „händeringend Leute für den Thüringer Heimatschutz (THS)“. Wohlleben wird Landesschulungsleiter, das liegt ihm. Erster Vorsitzender ist Carsten Schulze, der Anfang des Prozesses als Einziger der Angeklagten mündlich ausgesagt hat.

Wohllebens Aussage ist altfränkisch umständlich, ja gedrechselt abgefasst. Man merkt das Werk der Anwälte. Im Jahr 2010 tritt Wohlleben aus der NPD aus, wiewohl er seine „Ansichten nicht ändert“. Kursorisch beurteilt er Menschen, die in der Szene seinen Weg gekreuzt haben, „auch wenn ich in der Beurteilung nicht immer richtig gelegen habe“. Dem Mitangeklagten Holger Gerlach bescheinigt Wohlleben einen „starken Hang zur Zockerei und Tollpatschigkeit“, Uwe Böhnhardt sei „introvertiert“ gewesen, mit „trockenem Humor“, Uwe Mundlos „Schwiegermuttis Liebling, humorvoll, sympathisch, kontaktfreudig“. Mit Beate Zschäpe, einer „netten Frau“, konnte man „lange reden“. Sie sei „schlagfertig“ gewesen. In diesen Konstellationen inszeniert sich Wohlleben rückblickend als eine Art nationalistischer Mönch, mit aufrichtigen Ansichten, aber nicht militant, Gewaltgedanken hätten ihm fern gelegen.

Gemeinsame Urlaube mit dem NSU-Trio

Viel schiebt er in seiner Aussage auf den V-Mann Tino Brandt: Geldbeschaffung für Aktionen, die Organisation von Demos, Internetauftritte – alles Brandts Werk. Und so rückt wieder die Rolle des Verfassungsschutzes ins Zentrum. Was waren seine Ziele? Wohlleben bleibt nebulös: Das „Volk“ habe immer im Vordergrund gestanden, und die Kultur habe „vor Verfall geschützt werden“ sollen. Wohlleben glaubte und glaubt, sagt er, an ein „Europa der Vaterländer“, wobei „kein Volk höher als das andere“ stehe.

Vor dem Untertauchen des Trios Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, so räumt er ein, habe es gemeinsame Urlaube gegeben. Am Aufhängen eines Puppentorsos, an dem ein Judenstern angebracht war, an einer Autobahnbrücke, sei er beteiligt gewesen, habe allerdings lediglich „Schmiere gestanden“ und den Polizeifunk abgehört. Böhnhardt und Mundlos hätten nie den Eindruck erweckt, dass sie „einmal schwere Straftaten begehen“ würden, „schon gar nicht gegen Ausländer“. Ausländer hätten „nie eine Rolle gespielt“.

Gleichwohl leiht Wohlleben dem Trio sein Auto, als sie abtauchen. Er stellt Kontakte zu den Eltern her. An Inhalte von Gesprächen erinnert er sich nicht. In Chemnitz sieht er die drei 1998 nach längerer Zeit wieder. Wohlleben hilft weiter, schließlich hat man mal zusammen „Progromly“ gespielt, ein antisemitisches Spiel, was er selber aber „nie toll“ fand. Am Ende vermittelt er noch einen Rechtsanwaltskontakt, erkennt aber angeblich auch allmählich die eigene Gefährdung: „Ich sollte aufpassen, dass ich nicht verfolgt werde.“

„Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele lehne ich ab.“

Böhnhardt fragt ihn nach einer „scharfen Pistole“. Wohlleben sagt, er habe mit Waffen nichts zu tun. Böhnhardt hakt nach: Tino Brandt werde bezahlen, und er, Böhnhardt, gehe jedenfalls nicht ins Gefängnis, eher bringe er sich um. Wohlleben erzählt die Szene als Geschichte einer Erpressung. Die Pistole, die Ceska, besorgt er nicht, sagt er. Das habe Carsten Schulze übernommen. Gemeinsam, in einem „toten Winkel“ seiner Wohnung, habe man die Waffe und den Schalldämpfer überprüft (“aus reiner Neugier“).

Weiter will Wohlleben nicht gegangen sein. Von einer „Organisierung des Lebens des NSU“, wie die Bundesanwaltschaft formuliert, könne keine Rede sein. Und an ein Lächeln, wie Schulze es beschrieben hat, auf Wohllebens Gesicht, hat der Angeklagte ebenfalls, wie häufig in dieser Aussage, „keine Erinnerung“ mehr: „Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele lehnte ich damals wie heute ab.“ Wohlleben sagt, er sei entsetzt darüber, dass „die beiden“ (Zschäpe nimmt er aus) „gemordet“ haben. Er könne es kaum glauben und habe kein Verständnis. Wie alle anderen habe er vom NSU erst Ende 2011 erfahren. Den Angehörigen der Opfer gelte „sein Mitgefühl“.