Dem Untersuchungsausschuss zu der NSU-Terrorgruppe sind Akten nicht vorgelegt worden. Angeblich galten die Unterlagen im Bundesamt für Verfassungsschutz als verschwunden.
Berlin - Der Verfassungsschutz hat dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages wichtige Unterlagen eines V-Manns vorenthalten. Das bestätigte jüngst der Parlamentarische Innenstaatssekretär Günter Krings in der Fragestunde des Bundestages. Warum diese Akten dem Ausschuss nicht vorgelegt wurden, konnte Krings freilich nicht beantworten. „Das wird noch zu prüfen sein“, sagte er.
Im Bundestag hatte die Linke-Abgeordnete Martina Renner den Staatssekretär gefragt, wie viel Quellenberichte des V-Manns „Tarif“ noch im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vorhanden seien. Quellenberichte sind Zusammenfassungen von Informationen, die ein V-Mann dem Verfassungsschutz übermittelt. Krings gab diese Zahl mit „derzeit 157“ an. Nach seinen Worten seien „nicht alle“ dieser Quellenberichte dem Ausschuss vorgelegt worden.
Im Glauben gelassen, die Berichte exisitierten nicht mehr
Das ist allerdings eine erhebliche Untertreibung. „Ich habe, als ich mir zusammen mit den anderen Obleuten des Untersuchungsausschusses im Bundesamt die Akte von ‚Tarif’ ansehen durfte, nicht einen Quellenbericht darin gesehen“, sagt Petra Pau (Linke). Pau und die anderen Ausschuss-Obleute waren im Sommer 2012 in das Bundesamt geladen worden, nachdem die Vernichtung von mehreren V-Mann-Akten im BfV bekannt geworden war. Betroffen von der in aller Eile und Heimlichkeit durchgeführten Schredderaktion, die nur eine Woche nach der Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011 stattgefunden hatte, war auch die Akte des V-Mannes „Tarif“. Unter den im BfV später rekonstruierten und den Obleuten vorgelegten Ordnern befand sich dann zwar auch einer mit Unterlagen zu „Tarif“. Allerdings enthielt dieser keine Quellenberichte. Der Ausschuss wurde bis zum Ende seiner Beweisaufnahme im Sommer 2013 zudem im Glauben gelassen, diese Berichte würden nicht mehr existieren.
Dass aber tatsächlich noch 157 Quellenberichte vorhanden sind, erklärte Staatssekretär Krings nun damit, dass diese Unterlagen erst jetzt „im Hause“ gefunden worden seien. Warum dies nicht bereits 2012 gelungen sei, obwohl seinerzeit eine rund einhundert Beamte starke „Lageorientierte Sonderorganisation“ (LoS) im BfV gezielt nach Unterlagen zum NSU-Komplex gesucht hat, konnte Krings jedoch nicht erklären. In der LoS arbeitete übrigens jener für Rechtsextremismus zuständige Referatsleiter mit, der die Vernichtung der „Tarif“-Akte im November 2011 ausdrücklich angewiesen hatte.
Der ehemalige V-Mann erhebt schwere Anschuldigungen
Hinter dem Decknamen „Tarif“ verbirgt sich der heute in Schweden lebende Michael von Dolsperg, der von 1994 bis mindestens 2001 als V-Mann für das BfV arbeitete. Dolsperg, der in den 1990er Jahren Michael See hieß und damals ein führender Neonazi in Nordthüringen war, kannte den mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos. Außerdem publizierte er jahrelang unter den Augen des Verfassungsschutzes die rassistische Nazi-Postille „Sonnenbanner“. In „Sonnenbanner“-Artikeln wurde das – vom NSU umgesetzte – Konzept autonomer Kämpferzellen propagiert, die im Untergrund das demokratische System bekämpfen. An dem für dieses Jahr letzten Verhandlungstag des Münchner NSU-Prozesses wurde einer dieser Artikel im Gericht verlesen.
Dolsperg sagte im vergangenen Februar dem „Spiegel“, dass die „Sonnenbanner“-Artikel vorab von seinem Verbindungsführer beim Verfassungsschutz redigiert worden seien. Außerdem behauptete er in seiner Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft am 10. März 2014, dem Verfassungsschutz 1998 einen Hinweis auf das untergetauchte Trio gegeben zu haben. Demnach sei er, „Tarif“, damals von einem Thüringer Neonazi angesprochen worden, ob er den Dreien eine Zuflucht besorgen könne. Das BfV aber habe seinerzeit die Möglichkeit ausgeschlagen, mit seiner Hilfe das Trio bereits 1998 zu schnappen, behauptet Dolsperg.