Die zum Eigenschutz eingebauten Überwachungskameras in der Zwickauer Wohnung des NSU-Terrortrios belegen banale Normalität. Sie sind aber auch Indizien für Konspiration und kriminelle Energie des Trios.

Berlin - Beate Zschäpe hängt Wäsche auf und plauscht mit dem Nachbarn, Uwe Mundlos trägt ein gläsernes Terrarium aus der Wohnung und reinigt es an einer Mülltonne, Uwe Böhnhardt kommt vom Einkaufen zurück und sammelt Kastanien auf. Über allem strahlt eine freundliche Herbstsonne. Sie verstärkt beim Betrachten dieser Bilder noch den Eindruck einer heilen Alltagswelt. Das Böse unter dieser Sonne sieht man dabei nicht, aber man hat es natürlich im Kopf: Am 23. und 24. September 2010, als diese Aufnahmen an der Zwickauer Frühlingsstraße entstanden sind, waren die drei auf den Bildern so harmlos und normal wirkenden Menschen unter der Bezeichnung NSU schon jahrelang mordend und raubend durch die Republik gezogen. Laut Anklage der Bundesanwaltschaft hatten sie zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Menschen ermordet, Dutzende Personen durch zwei Bombenanschläge verletzt und zwölf Banken und Postfilialen überfallen.

 

Die Aufnahmen, die die Stuttgarter Zeitung erstmals zeigt, stammen aus Computerdateien mit fast 30 Stunden Videomaterial. Experten des Bundeskriminalamtes hatten die Dateien auf einer Festplatte gefunden und wiederhergestellt, die beim Feuer in der Wohnung des NSU-Trios in der Zwickauer Frühlingsstraße vor fast drei Jahren schwer beschädigt worden waren. Aufgenommen worden ist das Material durch vier Überwachungskameras, die Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe an ihrer Wohnung angebracht hatten, um das Umfeld ihres Hauses im Blick zu haben.

Eine Kamera erfasst das Geschehen auf der Straße

Im April 2008 – ein Jahr nach dem letzten mutmaßlichen NSU-Mord an der Polizistin Michéle Kiesewetter in Heilbronn – war das Trio in die Frühlingsstraße 26 umgezogen, in eine gutbürgerliche Einfamilienhausgegend im Norden der sächsischen Kreisstadt. Sie bewohnten dort eine 125 Quadratmeter große Etagenwohnung, die sie mit großem baulichen Aufwand besonders gesichert hatten. An drei Fenstern und im Türspion der Wohnungstür installierten sie zudem Überwachungskameras. Eine der Kameras, die hinter der Scheibe des Wohnzimmerfensters getarnt aufgestellt war, erfasste das Geschehen auf der Frühlingsstraße. Zwei andere, die in Blumenkästen verborgen waren, überwachten das Geschehen an der Rückfront des Hauses, wo sich die Eingangstüren befanden.

Für das Münchner Oberlandesgericht, das am heutigen Donnerstag den NSU-Prozess nach der Sommerpause fortsetzen wird, sind die Kameras und Sicherheitseinbauten in der Wohnung wichtige Indizien für die Konspiration des Trios und die Tarnung ihrer kriminellen Aktivitäten. Die jetzt dem Gericht vorliegenden Mitschnitte der Überwachungskameras erlauben zudem einen, wenn auch kleinen Einblick in den bisher weitgehend im Dunkeln liegenden Lebensalltag des Trios in Zwickau. Damit kehrt sich der eigentliche Zweck der Kameras auf absurde Weise um: Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, die damit eigentlich ihre Umgebung überwachen wollten, sind jetzt, da das Videomaterial in die Hände der Ermittler gelangt ist, zum Objekt der (eigenen) Ausspähung geworden.

Die Straßenschuhe werden brav ausgezogen

Überraschende Erkenntnisse liefern die Mitschnitte gleichwohl nicht. Auf den Mitschnitten aus den Jahren 2009 bis 2011 überwiegt das unerwartet Alltägliche, das die Kameras eingefangen haben. Man sieht den Wechsel der Jahreszeiten vor den Fenstern der Wohnung, Autos, die vorüber fahren, den Postboten, der Briefe und Werbeprospekte einwirft, fröhliche Menschen, die sich nach einem Besuch des griechischen Restaurants im Erdgeschoss unter der Trio-Wohnung auf der Straße voneinander verabschieden. Selten einmal gerät die Kameraaufnahme des Treppenhauses in Bewegung, wenn sich drei-, viermal am Tag die Wohnungstür öffnet. Meist ist es dann Zschäpe, die mit einem Wäschekorb das Haus verlässt oder zum Briefkasten an der Haustür geht. Manchmal ist Böhnhardt mit ihr zu sehen, wenn sie gemeinsam einkaufen gehen oder hinunter in den Keller, um Fahrrad zu fahren. Noch seltener gerät Mundlos ins Bild, was die These der Ermittler stützt, dass er in den letzten Jahren nicht mehr ständig mit seinen beiden Freunden zusammenlebte und wahrscheinlich einen eigenen, bis heute nicht gefundenen Unterschlupf in der Nähe von Zwickau hatte.

Kleinigkeiten fallen auf: Etwa, dass alle drei, bevor sie die Wohnung betreten, ihre Schuhe ausziehen und vor der Tür abstellen. Als sie einen Freund herzlich verabschieden, der sie besucht und die Straßenschuhe dabei anbehalten hat, greift Mundlos anschließend zu einem Besen und fegt den Flur. In einer anderen Szene geht Zschäpe mit zwei Tüten zu den Mülltonnen im Hof, eine für Plastikmüll, eine für Hausmüll. Ordentliche Mieter, so vermitteln es diese Bilder, die für Sauberkeit sorgen und den Müll trennen.

Eine längere Aufnahme stammt vom 26. Oktober 2011. Die Kamera am Wohnzimmerfenster zeigt ein weißes Wohnmobil, das auf der Frühlingsstraße parkt. Einen Tag vorher hatte Böhnhardt es beim Caravan-Verleih im sächsischen Schreiersgrün abgeholt. Die Kamera im Türspion filmt um 15.42 Uhr – so verrät es die eingeblendete Datumsleiste in der Aufnahme – Böhnhardt beim Verlassen der Zwickauer Wohnung. Es ist die vermutlich letzte Aufnahme des lebenden Uwe Böhnhardt. Das Wohnmobil ist das Fahrzeug, das eine Woche später, am 4. November, ausbrennt und in dem die Leichen von ihm und Mundlos gefunden werden. Wenige Stunden später an diesem Tag legt Zschäpe Feuer in der Zwickauer Wohnung, was zu einer heftigen Explosion führt. 2012 wird das teilweise zerstörte Gebäude in der Frühlingsstraße abgerissen.