Auch im Südwesten bastelten Rechtsextremisten zur aktiven Zeit des NSU an Bomben. Vom untergetauchten Trio will aber niemand gewusst haben.
Stuttgart - Sucht man nach Erscheinungsformen eines aggressiven Rechtsextremismus in Baden-Württemberg, rückt der Rems-Murr-Kreis in den Blick. Am Montag beschäftigte sich der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags mit einer Gruppierung, die Anfang der 2000er Jahre zahlreiche Straftaten begangen hatte – mehr als 40, wie ein damals mit den Ermittlungen betrauter Polizeibeamter berichtete. Unter dem Namen „Autonome Nationalisten Backnang“ hatte sich in einer Gaststätte – Musiktreff Point – eine Gruppe von jungen Rechtsextremisten gebildet, welche die Polizei in Atem hielt. Der Rems-Murr-Kreis galt schon seit den 1990er Jahren als Schwerpunktgebiet rechtsextremistischer Aktivitäten.
Sieben bis acht Straftäter, berichtete der Polizist, begingen in wechselnder Besetzung unter anderem drei Brandanschläge, Körperverletzung, zahlreiche Propagandadelikte. Sie spannten auch ein Banner über die Bundesstraße 14, auf dem ganz konkret zwei Ermittler bedroht wurden – woraufhin deren Familien wochenlang unter Polizeischutz gestellt wurden. Die Kinder gingen unter Bewachung zur Schule. Patrick W. gehörte zu denen, welche die Aktion initiierten. Bei ihm wurde wenig später eine fast fertig gebaute Rohrbombe gefunden.
Analogien zu den Anfängen des Nationalsozialisten Untergrunds (NSU) mit Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe liegen nahe. 1996 hatte Böhnhardt einen Puppentorso mit einem Judenstern an einer Autobahnbrücke angebracht und in der Nähe eine Bombenattrappe deponiert. Diese Tat sei ihnen bekannt gewesen, sagte Patrick W. im Untersuchungsausschuss.
Der heute 33-Jährige hatte Kontakte zu Mitgliedern des Ku-Klux-Klans und anderen rechtsextremistischen Kreisen. Er wurde verurteilt und kam erstmals in Haft, nach seiner Entlassung sei er „eher noch verbitterter gewesen“, sagte er im Untersuchungsausschuss. Patrick W. rutschte ins Drogenmilieu ab, er beschaffte sich eine Pumpgun, landete erneut im Gefängnis.
Mit 15 „Mein Kampf“ gelesen
In der rechten Szene sei er nur Mitläufer gewesen, beteuerte er. Was nicht recht zur Schwere seiner Straftaten passt, unter anderem beging er ja den Brandanschlag auf einen griechischen Kulturverein. Alles nur „Jux und Tollerei“, wie Patrick W. sagt? Er sei mit 13 Jahren ins rechtsextreme Milieu gerutscht. Sein Vater starb, da habe er sich einen Ersatzvater gesucht. Mit 15 Jahren las er „Mein Kampf“, das Buch besorgte er sich – damals noch nicht frei verkäuflich – im Internet. Nebenbei behauptete er, während seiner Haft in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg – Mitte der 2000er Jahre hätten Vollzugsbedienstete Tonträger mit rechtsextremer Musik verteilt.
Immerhin räumte Patrick W. vor dem Ausschuss ein, der rechtsextremen Ideologie angehangen zu haben. Das war insofern ungewöhnlich, als die meisten Befragten auf die Frage, weshalb sie in der Szene mitmachten, vor allem die Freude an der Musik als Grund nannten. An die Gespräche, die man in den verschiedenen Kellern und anderen Treffpunkten so führte, wollten oder konnten sie sich weniger erinnern. Im Ausschuss gab W. an, mit der rechten Szene nichts mehr zu tun zu haben.
Dass Musik ein wichtiger Kristallisationspunkt ist, bestätigte die frühere Liedermacherin Annett H. Die Musik sei eine „Einstiegsdroge“. Aber auch sie, die inzwischen der Szene den Rücken kehrte, sagte, über Politisches damals wenig gesprochen zu haben. Allerdings schrieb sie Balladen, deren Inhalt von einem Anwalt auf ihre Rechtlichkeit überprüft wurden.
Am Ende ging es im Ausschuss um den Heilbronner Polizistenmord 2007. Eine Rechtsanwältin gab an, einen Hinweis erhalten zu haben, dass es an jenem 25. April 2007 ein Waffengeschäft auf der Theresienwiese gegeben habe. Dabei seien türkische und CIA-Agenten anwesend gewesen.