Der Verfassungsschutz hält Details über die Informantin „Jule“ im Umfeld des NSU-Trios zurück. Sie hatte diesem bei dessen Flucht mit Geld, Autos und Anderem geholfen.

Erfurt / Berlin - Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat in den Ermittlungsakten aus Erfurt Hinweise auf eine bislang unbekannte Quelle des thüringischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) entdeckt. Sie hat den Decknamen „Jule“ und soll 1998/1999 über Monate Erkenntnisse geliefert haben. Das Bundestagsgremium fordert die Thüringer Landesregierung zur Auskunft darüber auf.

 

Bei „Jule“ handelt es sich nach Informationen dieser Zeitung um Juliane W., damals Lebensgefährtin des jetzt in München angeklagten NSU-Helfers Ralf Wohlleben. Nach dem Untertauchen von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatte Wohlleben die Unterstützung des Trios mit Geld, Autos und Waffen organisiert. Weil er auch die Ceska besorgte, mit der neun ausländische Mitbürger erschossen wurden, ist Wohlleben im NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.Auch Juliane W. war direkt in die Fluchthilfe für das Trio einbezogen. So waren ihr die Wohnungsschlüssel von Zschäpe und Mundlos übergeben worden, um nach deren Untertauchen Ende Januar 1998 Kleidungsstücke für sie abzuholen. Außerdem tauchte sie im Februar 1998 mit einer von Zschäpe unterzeichneten Vollmacht bei der Polizei auf, um die Herausgabe beschlagnahmter Gegenstände zu verlangen.

„Jule“ ist Teil der Operation „Drilling“

In Kontakt mit dem Verfassungsschutz kam Juliane W. spätestens im Sommer 1998. Ausweislich der Akte „Jule“ gab es zwischen August 1998 und Januar 1999 mehrere Treffen mit der in den Unterlagen als sogenannte Gewährsperson (GP) geführten Quelle. Laut Akte erhielt „Jule“ dabei jeweils zwischen 100 und 200 D-Mark Informationshonorar. Mindestens ein Dutzend Quittungen über diese Zahlungen finden sich in den Unterlagen. Darauf wird „Jule“ stets als Quelle bezeichnet.

Da der Vorgang „Jule“ Aktenbestandteil der LfV-Operation „Drilling“ ist, mit der das Trio aufgespürt werden sollte, liegt der Schluss nahe, dass Juliane W. vom Landesamt über Fluchthelfer und mögliche Aufenthaltsorte der drei flüchtigen Neonazis ausgefragt wurde. Möglicherweise gab sie auch Informationen über ihren damaligen Lebensgefährten Wohlleben preis.

Welche konkreten Informationen sie lieferte, ist unklar. In der an den Untersuchungsausschuss übergebenen Akte finden sich keine Treffberichte. Allerdings sind handschriftliche Notizen abgeheftet, die offenbar während oder nach den Treffs mit „Jule“ durch den Verbindungsführer vom LfV gefertigt wurden. Darauf finden sich Informationen über die Jenaer Neonazi-Szene sowie von Mitarbeitern weiterer Sicherheitsbehörden, darunter auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz.Die Existenz einer Gewährsperson „Jule“ hatte das Thüringer Landesamt bislang verheimlicht. So taucht Juliane W. nicht als Verfassungsschutzquelle im Bericht der Schäfer-Kommission auf, die im Auftrag des Erfurter Innenministeriums die Vorgänge rund um die Flucht des Trios aufklären sollte. Auch dem Untersuchungsausschuss des Bundestages war „Jule“ offenbar verheimlicht worden. Das Gremium hatte im März an mehrere Innenministerien, auch das in Erfurt, ein Auskunftsersuchen gestellt. Es ging um die sogenannte „129er-Liste“ relevanter Personen, die aus Ermittlersicht in Kontakt zu den mutmaßlichen NSU-Terroristen oder deren Unterstützern gestanden haben könnten. Der Ausschuss wollte wissen, welche der dort aufgeführten Personen mit staatlichen Behörden kooperiert haben. Thüringen identifizierte mehrere V-Leute und Gewährspersonen – nur Juliane W., die ebenfalls auf der „129er-Liste“ steht, blieb unerwähnt.