Die Polizei hat dem wichtigsten Hinweis auf das abgetauchte Terror-Trio keine Beachtung geschenkt: Eine „Blaupause“ für die Fahndung lag jahrelang in der Asservatenkammer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Das Versagen der Sicherheitsbehörden in dem monströsen Fall, der sich hinter dem Kürzel NSU verbirgt, hat am 26. Januar 1998 begonnen. Damals gab es noch keinen „Nationalsozialistischen Untergrund“ – aber das Terror-Trio aus Zwickau war schon einschlägig aktiv. Die Polizei durchsuchte an jenem Tag sieben Garagen in Jena, welche die drei Neonazi angemietet hatten. Dort fanden sich nicht nur Rohrbomben und insgesamt anderthalb Kilogramm Sprengstoff, sondern allerhand Beweismaterial – unter anderem ein Pappkarton und zwei Plastiktüten der Supermarktkette Rewe. Darin waren Papiere, die als „Blaupause“ für die Fahndung nach der rechtsextremistischen Bande hätte dienen können, wie der Abgeordnete Clemens Binninger meint, der für die CDU im NSU-Untersuchungsausschuss sitzt. Er weiß, wovon er spricht: Binninger war früher selbst einmal Polizist.

 

Während die Razzia in den Garagen an der Kläranlage von Jena noch im Gange war, machte sich der Tatverdächtige Uwe Böhnhardt auf und davon. Seit damals waren die drei Neonazis verschwunden. Der beschlagnahmte Karton und die zwei Tüten wurden ordentlich registriert. Um den Inhalt hat sich aber offenbar niemand ernsthaft gekümmert. Es geht dabei um zwei Listen mit Namen, Adressen und Telefonnummern von mehreren Dutzend Kontaktpersonen des Trios aus der ganzen Republik. Unter anderem waren zehn Leute aus Chemnitz vermerkt; dort war das Trio zunächst untergetaucht. Ferner fanden sich auf der Liste Kumpane aus etlichen deutschen Städten, zum Beispiel auch drei Namen aus Ludwigsburg: Hans S(schmidt), Barbara („Uschi“) und Michael E(llinger).

Hätte die Polizei die Spuren, die sich aus den so genannten Garagenlisten ergaben, konsequent verfolgt, „dann wäre die Wahrscheinlichkeit sehr groß gewesen, dass man das Trio früher findet“, sagt Hartfrid Wolff, der die FDP im Untersuchungsausschuss vertritt. Der Umstand, dass den Listen keine Beachtung geschenkt wurde, hält er für „eine der schlimmsten Pannen“ der Polizei in diesem pannenreichen Fall. Der Grüne Wolfgang Wieland pflichtet ihm bei: „Die Listen wären wie ein Sechser im Lotto gewesen, wenn sie bei den Zielfahndern angekommen wären.“

Fahnder ignorieren „Sechser im Lotto“

Die beiden Herren, die dafür verantwortlich sind, dass diese heißen Spuren unbeachtet blieben, saßen sich am Freitag vor dem Untersuchungsausschuss gegenüber: Jürgen Dressler vom Landeskriminalamt Thüringen und Michael Brümmendorf vom Bundeskriminalamt (BKA). Dressler leitete die Ermittlungen in Jena, der BKA-Mann war im Februar 1998 nach Thüringen abkommandiert, um die Kollegen zu unterstützen. Brümmendorf behauptet, es sei vereinbart gewesen, dass Dressler sich um die Namensliste kümmert, da er selbst die Leute gar nicht gekannt habe. Dressler wiederum kann sich nach eigenem Bekunden an so gut wie nichts mehr erinnern. Der BKA-Kollege hat ihm eine Notiz hinterlassen, auf dem der Name des NSU-Helfers Thomas Starke und der Hinweis „möglicher Unterschlupf“ vermerkt war. Genützt hat das alles nichts. Brümmendorf soll unlängst in einem Telefonat seinem Kollegen erklärt haben, er verstehe die Aufregung um diese Namensliste gar nicht. Das seien „bundesweit bekannte Rechtsextremisten“ gewesen. Wolfgang Wieland spottet über die Begriffsstutzigkeit der beiden Polizisten: „Die hätten wohl schreiben sollen: ,terroristische Vereinigung Doppelpunkt . . .’“

Es sei doch „eigentlich naheliegend“, so der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy, dass eine solche Liste, „der erstklassige Aufhänger für eine gezielte Suche“ hätte sein können. Binninger bekräftigt: „Viel näher konnte man dem Trio nicht mehr kommen.“ Der erfolglose Fahnder Dressler räumt ein: „Es ist offensichtlich nicht so gelaufen, wie’s hätte laufen müssen.“

BKA hält heikles Dokument zurück

Die Rewe-Tüte mit der brisanten Namensliste werde wie ein Schwarzer Peter hin und her geschoben, meint die SPD-Ob-Frau Eva Högl. Auch das letzte Kapitel dieser Pannengeschichte ist peinlich: Im Mai vergangenen Jahres sind das BKA und der Generalbundesanwalt auf einen Vermerk gestoßen, der darauf hinwies, dass es zwei unterschiedliche Garagenlisten gab – jene in der Tüte und die bekannte im Karton. Der Untersuchungsausschuss wurde darüber erst informiert, als dessen eigener Sonderermittler um Unterlagen ersuchte. Und dann hat es noch einmal geschlagene vier Wochen gedauert, bis er diese brisanten Unterlagen tatsächlich erhalten hat.