Nach mehr als zwei Jahren schließt der NSU-Untersuchungsausschuss in Stuttgart seine Arbeit ab. Er sollte Licht bringen in den Polizistenmord in Heilbronn – und hinterlässt einige offene Fragen.
Stuttgart - Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss zieht mit einem mehr als 1100 Seiten langen Abschlussbericht Bilanz. 28-mal haben die Abgeordneten getagt und dabei 78 Zeugen und sechs Sachverständige vernommen. Im Hintergrund wälzten ihre Mitarbeiter rund 1300 Aktenordner und tausende Seiten digitaler Unterlagen. Insgesamt sind Kosten von 2,4 Millionen Euro entstanden. Der Bericht soll am 20. Dezember im Landtag vorgestellt werden und liegt unserer Zeitung bereits vor.
Worum geht es?
Die Abgeordneten sind zwölf Fragekomplexen nachgegangen, die ein erster Ausschuss im Landtag nicht beantworten konnte. Dabei ging es vor allem um Kontakte der NSU-Terroristen in den Südwesten. Der Ausschuss hatte sich auch zum Ziel gesetzt, rechtsextreme Strukturen und Musiknetzwerke in Baden-Württemberg zu durchleuchten.
Gibt es neue Erkenntnisse zum Polizistenmord?
Der Ausschuss hat keine Zweifel daran, dass die Jenaer Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen haben. „Kein Schwurgericht der Welt würde zu einem anderen Ergebnis kommen“, sagt Grünen-Obmann Jürgen Filius. Die Abgeordneten haben keine Belege für weitere Täter oder Helfer gefunden. „Obwohl wir fast jeden Stein umgedreht haben“, so der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler. Ausschließen wollen die Parlamentarier aber nicht, dass es Mitwisser oder Unterstützer gab. Theorien über US-amerikanische Geheimdienste oder Islamisten am Tatort weist der Ausschuss deutlich zurück. „Gute, solide Arbeit schlägt Verschwörungstheorien“, sagt der CDU-Obmann Arnulf von Eyb. Die AfD-Obfrau Christina Baum zweifelt die NSU-Täterschaft hingegen an: „Es gibt keine eindeutigen Beweise“.
Welche Konsequenzen empfiehlt der Ausschuss?
Die Fraktionsvertreter der Grünen, CDU, SPD und FDP schlagen unter anderem vor, die Beratung und Unterstützung für Gewaltopfer zu verbessern. Die Landesregierung soll eine Bleibeperspektive für Migranten ohne Aufenthaltsrecht prüfen, die in Deutschland Opfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt werden. In Brandenburg, Berlin, Bremen und Thüringen existieren bereits entsprechende Regelungen. Wichtig ist den Parlamentariern, rechtsextreme Karrieren bei Kindern und Jugendlichen mit Präventionsprogrammen zu verhindern. Insbesondere die Neonazi-Musikszene wirke nach wie vor als „Einstiegsdroge“. Der FDP-Obmann Nico Weinmann verweist auf die zunehmende „Professionalisierung und Vernetzung“ der Szene. Die Landesregierung soll außerdem die Einrichtung eines Instituts zur Erforschung rechtsextremer Strukturen an einer Hochschule im Land prüfen.
Was sagt der Ausschuss zum Verfassungsschutz?
Durch Aktenvernichtungen und Spitzelskandale sind die Verfassungsschutzbehörden im Laufe der NSU-Ermittlungen negativ aufgefallen. Der Ausschuss stellt in seinem Bericht einen „Verlust an Glaubwürdigkeit“ fest und empfiehlt im Land eine „verstärkte Transparenz“. Trotzdem hält das Gremium die Arbeit mit Vertrauenspersonen für wichtig. Empfohlen wird aber eine „laufende kritische Überprüfung“ dieser Quellen. Gleichzeitig soll der Landesverfassungsschutz „aus der Gesellschaft heraus“ gestärkt werden – etwa durch den Ausbau der Extremismusforschung in Kooperation mit Universitäten und Think Tanks. Dass der Bundesverfassungsschutz dem Gremium unter Verweis auf das „Staatswohl“ keinerlei Quellen offenbarte, wird kritisiert. „Wer, wenn nicht demokratisch gewählte parlamentarische Vertreter, kann bestimmen, was das Staatswohl ist“, mahnt der SPD-Obmann Boris Weirauch.
Welche Fragen bleiben offen?
Bei einigen Punkten ist der Ausschuss nicht weiter gekommen. Ob ein heute 44-jähriger Musiker der Stuttgarter Neonaziband „Noie Werte“ im Jahr 2000 zu Gleichgesinnten sagte, den untergetauchten NSU-Terroristen gehe es gut, ließ sich nicht klären. Warum Uwe Mundlos drei Jahre nach dem Abtauchen in den Untergrund einen Szenefreund in Ludwigsburg besuchte, bleibt ein Mysterium. Offen ist auch, wie die Adressen von migrantischen Vereinen, Waffenläden, Politikern und Parteibüros aus Baden-Württemberg auf eine Liste möglicher Anschlagsziele des NSU gelangten.