Der Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtags zum NSU hat sich mit dem rätselhaften Tod eines möglichen Zeugen vor anderthalb Jahren beschäftigt. Die Familie des Opfers glaubt nicht an einen Selbstmord – anders als die Ermittler.

Stuttgart - Am Morgen des 16. September 2013 schied auf dem Cannstatter Wasen ein junger Mensch auf grausame Weise aus dem Leben. Der damals 21-jährige Florian H. verbrannte in seinem Peugeot bis zur Unkenntlichkeit. Die Polizei ging sehr schnell von einer Selbsttötung aus. Als zwei Beamte am Mittag den Eltern Florians in Eppingen (Kreis Heilbronn) die traurige Nachricht überbrachten, gaben sie nach der Erinnerung des Vaters „schlechte Schulnoten“ als Auslöser des Suizids an. Gerhard H., der Vater, kann sich darüber noch immer aufregen. Florian habe „Einskomma-Noten“ gehabt , sagt er am Montag vor dem NSU-Untersuchungsausschuss.

 

Untersuchungsausschuss? Florian H. wuchs nach seinem Tod eine plötzliche Aufmerksamkeit zu. Bereits Anfang 2012 meldete sich eine Zeugin bei der Polizei und berichtete, Florian H. bewege sich in rechtsextremistischen Kreisen und kenne die Mörder der 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter. Der Generalbundesanwalt ordnete diesen Mord dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), also Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, zu. Von der Polizei zur Rede gestellt, bestritt Florian H., Erhellendes zum Mord an Michèle Kiesewetter beitragen zu können. Stattdessen redete er über eine Gruppierung namens Neoschutzstaffel (NSS), die sich mit dem NSU in Öhringen getroffen habe.

Termin mit den Ermittlern

Auch an seinem Todestag hatte Florian H. einen Termin mit den Ermittlern vom Landeskriminalamt. „Suizid? Nie!“ Da ist sich Gerhard H. im Untersuchungsausschuss am Montag sicher. Weder wegen schlechter Noten noch wegen Liebeskummer – das habe die Polizei alternativ als Motiv genannt – hätte sich sein Sohn das Leben genommen. Nach der Erinnerung des Vaters sowie der Schwester war Florian H. 2010 in rechtsextremistische Kreise geraten. Der Vater sagt, schon vor November 2011, also vor dem Auffliegen des NSU-Trios, habe Florian vom NSU gesprochen. „Für mich war NSU ein Begriff, bevor er in der Presse war“, sagt Gerhard H., „hundertprozentig.“ Nach Beginn des Münchner NSU-Prozesses habe Florian gesagt, dort müssten noch ganz andere vor Gericht stehen.

Sein Sohn, zeitweise mit Bomberjacke, Springerstiefeln und rasiertem Schädel unterwegs, habe sich dann aus der rechtsextremistischen Szene zurückgezogen – mit Hilfe des Aussteigerprogramms Big Rex des Landeskriminalamts. Doch über deren Arbeit äußert sich Gerhard H. verbittert: von Hilfe keine Spur, es sei bei den Treffen immer nur darum gegangen, das Insider-Wissen seines Sohnes abzuschöpfen. Letztlich sei Florian von zwei Seiten unter Druck gesetzt worden: von der Polizei, die mehr über die rechte Szene wissen wollte, und von den Neonazis, die ihn ihm einen Verräter sahen. Aus der Szene habe es „massivste Bedrohungen“ gegeben.

Verstörender Telefonanruf

Mit der Angst vor den alten Kameraden begründet die Familie auch die psychischen Probleme, die Florian H. offenkundig hatte. Aktenkundig ist, dass er vor Gericht einräumte, er sei krank und habe Paranoia. Laut Vater und Schwester hatte er zu Hause Waffen deponiert und zumindest ein Mal auch Drogen transportiert.

Vater und Schwester berichten von einem Anruf am Nachmittag vor dem Flammentod, der Florian H. völlig aus der Fassung gebracht habe. Sie gehen davon aus, dass er erneut bedroht wurde. All dies aber habe die Polizei nicht interessiert. Auch die näheren Todesumstände werfen für die Angehörigen Fragen auf. Zum Beispiel fehle der Zündschlüssel des verbrannten Wagens. An zwei Autos der Familie seinen technische Manipulationen vorgenommen worden: beim einen wurden demnach die Bremsschläuche gekappt, beim anderen die Radschrauben gelöst.

Die Schwester sagt, nach dem Tod Florians sei dessen Facebook-Account gelöscht worden, die Frage sei nur: von wem? Im ausgebrannten Auto fanden die Geschwister Laptop und Handy von Florian H. Sie versuchen derzeit, die Geräte mit fremder Hilfe auszulesen. Die Polizei habe sich dafür nicht interessiert.

Polizei und Staatsanwaltschaft gehen von einer Selbsttötung aus. In der Lunge Florian H.s wurden Rußpartikel gefunden. Er lebte also noch bei Brandbeginn.