Hatten Rechtsextreme den beim Heilbronner Anschlag 2007 schwer verletzten Polizisten Martin Arnold im Visier? Die Story klingt interessant, ist aber wohl in weiten Teilen erfunden.
Stuttgart - Für einen 62-jährigen Pensionär verfügt Rainer Oettinger über eine erstaunlich junge Stimme; sie klingt hell, wirkt aber unaufgeregt. Seine Ausdrucksweise ist gepflegt, sein Vortrag luzide. Nur sehen kann man den ehemaligen Verfassungsschützer nicht, und auch sein Name ist nur ein „Tarnname“, wie Wolfgang Drexler, der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, einleitend feststellt. Der Verfassungsschützer korrigiert diskret: Es handle sich um seinen „Arbeitsnamen“. In einem Nebenzimmer , abgeschirmt von den Blicken des Publikums, tritt der Geheime vor die Abgeordneten. Via Lautsprecher wird das Geschehen in den provisorischen Plenarsaal des Landtags übertragen.
Träfen die Vorwürfe zu, die der Untersuchungsausschuss am Montag verhandelt, dann wäre der Verfassungsschützer Oettinger entweder ein Anwärter auf die Mitgliedschaft im Verein der Trottel des Jahrhunderts oder der Repräsentant einer in rechtsextremistische Verbrechen verstrickten Behörde. Oettinger soll nämlich bereits kurz nach dem Heilbronner Polizistenmord im April 2007 über seine Informantin „Krokus“ Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund der Tat bekommen haben. Bei ihrer dem Dunstfeld der NPD zugehörigen Friseurin Nelly R. in Wolpertshausen (Landkreis Schwäbisch Hall) habe „Krokus“ aufgeschnappt, dass sich Rechtsextremisten für den Zustand des bei dem Anschlag schwer verletzten Polizisten Martin Arnold interessierten. Ein erneuter Mordversuch an dem Polizisten sei nicht auszuschließen. Doch der Verfassungsschützer Oettinger habe – so der Vorwurf – die brisanten Hinweise abgetan.
„Dubioser Hinweisgeber“
Allerdings: Die Quelle dieser Vorwürfe ist höchst fragwürdig. Bei dem Hinweisgeber Alexander Gronbach handelt es sich um einen nach Einschätzung des Landeskriminalamts „notorischen beziehungsweise dubiosen Hinweisgeber“, der als Aufschneider und Wichtigtuer bei der Polizei weit über Baden-Württemberg hinaus bekannt sei. Gronbach soll in vielfältige kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen sein, in Deutschland liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor. Zu beachten ist auch: Gronbach lancierte die „Krokus“-Story erst im Dezember 2011, also nach dem Bekanntwerden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).
Verfassungsschützer Oettinger bezeichnet Gronbach bei seiner Befragung als „Schwerkriminellen“. Vor allem aber kann er mit einer gewissen Stringenz plausibel machen, dass nicht die Vertuschung, sondern die Aufklärung des Mordes an Michèle Kiesewetter in seinem Interesse liegen musste: „Das wäre eine Sternstunde in meinem Job gewesen.“ Und noch ein Argument fällt ihm zu seiner Entlastung ein: „Wenn ,Krokus’“, die auch über Kontakte zur Polizei in Schwäbisch Hall verfügte, „so eine heiße Information gehabt hätte, dann hätte sie doch die Polizei angerufen, zumal bei der hohen Belohnung“.
Eine verhängnisvolle Affäre
Ein Kollege vom Staatsschutz der Polizei hatte „Krokus“ dem Verfassungsschützer als Tippgeberin empfohlen. Oettinger war zunächst angetan, „gewitzt“ und „sympathisch“ sei ihm die Frau erschienen. Er übernahm sie als „Auskunftsperson“ und beförderte sie später zur „Informantin“, die im Unterschied zur „Auskunftsperson“ gezielt mit Aufträgen versehen wird. Um die Jahreswende 2010/2011 kam es indes zum Bruch: „Krokus“ lernte Gronbach kennen, ging eine Verbindung mit ihm ein – und änderte sich nach vielfältigen Aussagen völlig. „Ich habe noch nie jemanden erlebt, der eine derartige Änderung seiner Persönlichkeit erlitt“, sagt Oettinger.
Der wahre Kern der Geschichte liegt wohl tatsächlich im Salon von Nelly R.. Sie präparierte damals für eine Kundin die Hochzeitsfrisur, die als Krankenschwester in der Klinik in Neresheim (Ostalbkreis) arbeitete. Dorthin war der mit einem Kopfschuss verwundete Polizist Arnold verlegt worden. Darüber wurde wohl kurz gesprochen, wie Nelly R. berichtete. Dass die Friseurin mit NPD-Größen wie Alexander Neidlein, heute NPD-Landeschef, und Matthias Brodbeck befreundet und selbst NPD-Mitglied war, beflügelte offenkundig Gronbachs Fantasie.
Nelly R. zeigte im Untersuchungsausschuss eine bemerkenswerte Mischung aus Weinerlichkeit und Aggressivität. Sie fühle sich bedroht, sagte sie – von Gronbach und anonymen Anrufern. Zugleich warf sie dem Ausschuss vor, Vernehmungsprotokolle der Öffentlichkeit zuzuspielen: „Wer ist die linke Bazille hier?“ Am Ende aber buchen die Abgeordnete die Gronbach/,Krokus’-Spur, die beim LKA unter der Nummer 5036 geführt wird, als Irrweg ab. „Den ganzen Komplex können wir auf Null stellen“, sagt Ulrich Goll (FDP).