Vor kurzem noch hatte Melissa M. vor dem NSU- Untersuchungsausschuss des Landtags ausgesagt, jetzt ist sie plötzlich gestorben. Doch ihr Tod war den Ermittlern zufolge wohl die Folge eines Motorradunfalls und nicht die Tat von Neonazis.

Karlsruhe - Der überraschende Tod der 20-jährigen Melissa M. aus Kraichtal im Kreis Karlsruhe hat am Montag neue Spekulationen über den Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschuss ausgelöst. Die junge Frau, die erst unlängst als Zeugin vor dem Gremium ausgesagt hatte, war am Samstagabend mit einem Krampfanfall in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Ein Notarzt versuchte vergeblich, die Frau zu retten. Sie schaffte es noch bis ins Krankenhaus Heilbronn, starb aber dort. Als Todesursache ermittelten die Behörden eine Lungenembolie als Folge einer Knieverletzung, die sie sich bei einem Motorradunfall zugezogen hatte. Dies ist das Ergebnis der Obduktion an der Universität Heidelberg.

 

„Wir sind uns der Brisanz des Falls bewusst“, sagte der Karlsruher Staatsanwalt Tobias Wagner. Es sei am Sonntag relativ schnell deutlich geworden, dass es sich um eine Zeugin des NSU-Ausschusses handeln könnte. Bei jedem ungeklärten Todesfall werde automatisch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die Ermittlungen seien noch keinesfalls abgeschlossen. So sollen noch weitere Gewebeproben entnommen und die Leiche auf Spuren von Giften und Medikamenten untersucht werden. Bis jetzt aber gebe es keine Hinweise auf Fremdverschulden, hieß es bei der Staatsanwaltschaft.

Unfall mit der Moto-Cross-Maschine

Nach Angaben der Behörden hatte die junge Frau am Dienstag auf einem Vereinsgelände bei Odenheim, unweit ihres Wohnorts, einen leichten Motorradunfall mit einer Moto-Cross-Maschine gehabt. Dabei zog sie sich eine Prellung am Knie zu. Zwei Mal wurde sie ambulant behandelt, beide Male betrieben die Ärzte Thrombosevorsorge. Dennoch löste sich in der Folge ein Thrombus aus dem unfallbedingten Hämatom und verursachte die Embolie.

Bei der Toten handelt es sich um eine frühere Freundin von Florian H., einem ehemaligen Neonazi, der im Herbst 2013 in einem Wagen in Stuttgart verbrannt war. Florian H. soll gewusst haben, wer die Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn getötet hatte. Das stritt er gegenüber der Polizei ab, sprach aber von einer Neoschutzstaffel (NSS), die sich mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in Öhringen (Hohenlohekreis) getroffen habe. Der Mord an Michèle Kiesewetter wird den Rechtsterroristen des NSU zugerechnet. Die Todesumstände von Florian H. werden derzeit neu untersucht, nachdem dessen Schwester in dem verbrannten Wagen Gegenstände gefunden haben will, welche der Polizei entgangen waren. Darunter eine Machete, eine Luftdruckpistole und einen Schlüsselbund.

Florian H. und Melissa M. sind nicht die einzigen Todesfälle im Schweif der NSU-Mordserie. Der V-Mann Corelli erlag einer unerkannten Diabeteskrankheit; der damals 18-Jährige Arthur C. starb 2009 neben seinem ausgebrannten Auto zwischen Eberstadt und Cleversulzbach nahe Heilbronn einen qualvollen Flammentod. Er könnte im Zusammenhang mit dem Mordfall stehen, weil die Polizei bei ihm eine starke Ähnlichkeit mit einem Phantombild feststellte, das nach dem Heilbronner Polizistinnenmord erstellt worden war.

Melissa M. hatte vor ihrer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss angegeben, sie fühle sich bedroht. Nach Angaben des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Drexler (SPD) konnte die Zeugin ihre Bedrohungsgefühle aber nicht konkretisieren. Zudem offenbarte Melissa M. bei ihrer Vernehmung nach Teilnehmerberichten keinerlei Wissen in Bezug auf die rechtsextremistische Szene. Nach Einschätzung von Ausschussmitgliedern kommt Melissa M. mangels Insiderwissen als Opfer eines Racheakts von Rechtsextremisten kaum in Betracht. Der Untersuchungsausschuss wird Mitte April wieder zusammenkommen. Aufhellung über Wesen und Relevanz der angeblichen Neoschutzstaffel erhoffen sich die Abgeordneten von einem gewissen „Matze“, einem Freund von Florian H. in der rechtsextremen Szene. „Matze“ war von der Polizei erst infolge des Ausschusses identifiziert worden. Bei seiner Vernehmung gab er an, bei einer Demonstration in Dresden auf die NSS angesprochen worden zu sein. Dort habe er ein Mitgliedsformular unterschrieben.