Anderthalb Jahre hat der NSU-Ausschuss an der Aufdeckung der Ermittlungspannen gearbeitet. Nun liegt der Bericht vor – mit vernichtenden Ergebnissen. Es gibt aber auch Vorschläge für eine Reform von Polizei, Justiz und des Verfassungsschutzes.

Stuttgart - Das Urteil des NSU-Untersuchungsausschusses ist vernichtend. Die Tatsache, dass über ein Jahrzehnt die Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) untertauchen, zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und mindestens 14 Raubüberfälle begehen konnten, sei „eine beschämende Niederlage der deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden“, stellen alle Fraktionen des deutschen Bundestages fest. Obwohl spätestens nach dem zweiten Mord erkannt worden war, dass es sich aufgrund der verwendeten Waffe vom Typ Ceska um eine Serie handeln musste und der Migrationshintergrund der Opfer bekannt war, gelang es 36 deutschen Sicherheitsbehörden nicht, den Taten das richtige Motiv zuzuordnen. Jenes abscheuliche Motiv, das der Abschlussbericht als den Versuch beschreibt, „mit Mord und Gewalt aus Deutschland ein unfreies, abgeschottetes Land des Rassenwahns“ zu machen.

 

Schlecht weggekommen sind in der von allen Fraktionen getragenen Beurteilung aber auch einige mit dem Fall befasste Innenminister. Der ehemalige bayerische Innenminister Günther Beckstein habe zwar immerhin zu Beginn der Mordserie nach rechtsextremen Motiven gefragt, habe sich dann aber mit den beschwichtigenden Angaben der Behörden zufriedengegeben – was er sich heute noch vorwirft. Ex-NRW-Minister Fritz Behrens (SPD) habe sich „nicht näher mit den Hintergründen des Nagelbombenanschlags in Köln“ 2006 befasst und nicht einmal den Opfern vor Ort seine Anteilnahme ausgesprochen. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) habe nach diesem Anschlag ohne hinreichenden Beleg einen rassistischen Hintergrund für unwahrscheinlich erklärt.

Auch zwei noch aktive Politiker kommen in dem Bericht nicht gut weg. Volker Bouffier (CDU), heute Ministerpräsident von Hessen, habe als Innenminister bei der Aussagegenehmigung für V-Leute des Verfassungsschutzes 2006 eine unrühmliche Rolle gespielt. Der heutige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe als Bundesinnenminister „kein Interesse“ an der Mordserie gezeigt. Außerdem sei er – aus heutiger Sicht fälschlicherweise – 2006 nicht der Bitte des Bundeskriminalamtes nachgekommen, das Bundeskriminalamt mit den Ermittlungen zu befassen. Ebenso wichtig wie die Aufarbeitung war den Mitgliedern von Union, SPD, FDP, Grünen und Linken aber die Frage, wie dieses kollektive Versagen künftig vermieden werden kann. Sie sprachen deshalb 47 Empfehlungen zur Reform der Polizei, des Justizapparates und der Verfassungsschutzbehörden aus.

Polizei

Andere „Fehlerkultur“ ist notwendig

Künftig soll immer dann, wenn kein konkreter Tatverdacht vorliegt, bei Opfern mit Migrationshintergrund zwingend ein „rassistischer oder politisch motivierter Hintergrund“ geprüft werden, das gilt auch für Staatsanwaltschaften. Notwendig sei aber vor allem eine andere „Fehlerkultur“ in den Dienststellen, um selbstkritisches Denken zu befördern. Dies müsse Gegenstand polizeilicher Aus- und Fortbildung werden. Außerdem soll Rotation als Führungsinstrument eingesetzt werden, um Routinen aufzubrechen. Bei derart komplexen länderübergreifenden Fällen müsse eine „zentrale ermittelnde Dienststelle“ eingerichtet werden. Erfolglose Ermittlungen sollten nach einer gewisser Zeit von neuen Teams – auch unter Berücksichtigung neuer Ermittlungstechniken – aufgerollt werden. Da allein schon wegen unterschiedlicher Computerprogramme ein Datenaustausch zwischen den Bundesländern mitunter über Monate verzögert wurde, müsse außerdem ein einheitlicher Standard länderübergreifend garantiert sein, heißt es.

Der Umgang mit den Opfern, von denen neun türkischer oder griechischer Herkunft waren, wurde als „beschämend“ empfunden. Die Angehörigen wurden durch die einseitigen Ermittlungen in Richtung organisierte Kriminalität ein zweites Mal traumatisiert. Bis zur zufälligen Aufdeckung der Mordserie war ein rassistisches Motiv nicht ernsthaft erwogen worden. Zwar wollte, anders als die Linke Petra Pau, der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) nicht von „strukturellem Rassismus“ bei der Polizei sprechen, aber einig sind sich alle Parteien, dass die Stärkung von „interkultureller Kompetenz“ bei der Polizei zwingend erforderlich ist, etwa durch Einstellung von jungen Menschen unterschiedlicher Herkunft und entsprechende Bildungsangebote. Wichtig sei auch, die Ermittler im Umgang mit Opfern zu schulen.

Justiz

Stärkung der parlamentarischen Kontrolle

Irritiert nahm der Ausschuss zur Kenntnis, dass die Generalbundesanwaltschaft eine mögliche Zuständigkeit bei der Aufklärung der Mordserie nach Lektüre von Zeitungsartikeln abgelehnt habe. Deshalb müsse eine Prüfung künftig nach klaren Kriterien erfolgen und der Spielraum des Generalbundesanwalts vergrößert werden, Ermittlungen an sich zu ziehen. Zwingend notwendig wäre bei der Mordserie unabhängig davon eine „einheitliche staatsanwaltschaftliche Verfahrensführung“ gewesen.

Verfassungsschutz

In diesem Punkt rangen sich die Mitglieder des Ausschusses zu einem Minimalkonsens durch, weil die Linke den Verfassungsschutz ganz abschaffen will und die Grünen zumindest die V-Leute abschaffen wollen. Zwingend erforderlich sei eine Stärkung der parlamentarischen Kontrolle. Weil es zu problematischen Aktenvernichtungen kam, müssten die Vorgaben zur Verwahrung klar und für die Mitarbeiter verständlich geregelt sein. Die Auswahl und Führung von V-Leuten müssen grundlegend neu geregelt werden.

Prävention

Alle Fraktionen hoben die Bedeutung des zivilen Engagements gegen Rechtsextremismus hervor. Dieses sei von enormer Bedeutung für die Verhinderung rechter Gewalt, sagte Edathy. Außerdem könnten zivilgesellschaftliche Gruppen unschätzbare Leistungen bei der Betreuung von Opfern erbringen. Deshalb müsse, so der Ausschuss, die finanzielle Hilfe des Bundes an solchen Projekten verstetigt und ausgebaut werden.