Martina Schaldt arbeitet als Kinderschlichterin. Sie hilft Mädchen und Jungen, besser mit der Trennung ihrer Eltern umzugehen. Dazu gibt sie ihnen Tipps an die Hand und reicht auch mal ein Taschentuch.

Rems-Murr: Sascha Sauer (sas)

Nürtingen/Bad Urach - Wenn sich Eltern scheiden lassen, sind die Sorgen und Nöte groß. Gerade Kindern wachsen sie schnell über den Kopf. Dann drehen sich ihre Gedanken wie ein Karussell, das nicht stehenbleiben will: Warum geht der Papa weg? Muss die Mama wieder arbeiten? Haben die Eltern nach der Trennung überhaupt noch Zeit für mich?

 

Die Schlichtungsstelle in Bad Urach möchte diesen Kindern und Jugendlichen helfen. Sie will ihnen eine Stimme geben, sodass sie gehört werden bei all dem Streit und Zank der Eltern.

Die Nürtingerin Martina Schaldt arbeitet dort als Kinderschlichterin. Sie reicht den Betroffenen im Alter zwischen fünf und Anfang 20 die Hand. Im Familienraum zwischen Kinderbüchern und Murmelbahn findet das Kennenlernen statt. „Bis auf das Alter und den Namen weiß ich überhaupt nichts über die Person“, sagt Martina Schaldt. Das gehöre zum Konzept.

Jedes Trennungskind bringt eine andere Geschichte mit

Ohne Vorbehalte versucht die 40-Jährige, Zugang zu den Kindern und Jugendlichen zu bekommen. Und weil jeder eine andere Geschichte mitbringt, gibt es kein Patentrezept. Mal ist da große Trauer, weil der Papa geht. Mal ist da Angst, weil die Mama plötzlich oft niedergeschlagen ist. Mal geraten die Kinder in einen Loyalitätskonflikt, weil die Eltern sich bekämpfen.

Die Schlichtungsstelle in Bad Urach haben Lara Schmidt-Rüdt und ihr Ehemann Michael Gissibl vor rund 15 Jahren gegründet. Die Idee dazu war der 49-Jährigen damals während ihrer Zeit als Zivilrichterin am Landgericht Tübingen gekommen. „Vor Gericht wurden die Konflikte der Ehepaare häufig noch schlimmer“, erzählt sie. „Deshalb wollte ich eine Alternative zur rechtlichen Auseinandersetzung schaffen, die ihren Fokus mehr auf der zwischenmenschlichen Ebene hat.“ So habe die Schlichtungsstelle das Ziel, Konflikte so zu bearbeiten, dass sie erst gar nicht vor Gericht landen.

Streitigkeiten gibt es praktisch überall: unter Erben, unter Kollegen unter Vereinskameraden und eben unter Elternpaaren. „Unser Konzept sieht vor, dass bei Trennungen der Eltern im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens auch die betroffenen Kinder zu uns kommen und mit unseren Kinderschlichtern sprechen“, erklärt Lara Schmidt-Rüdt.

Es gibt auch Kinder, die nicht über ihre Probleme sprechen wollen

Martina Schaldt geht dann auf Spurensuche. „Ich muss an die Stelle kommen, wo die Sorgen und Ängste der Mädchen und Jungen sitzen“, erklärt die Kinderschlichterin. Der Familienraum wird zu Schutzraum. Doch es gibt immer wieder Kinder, die nicht über ihre Probleme sprechen wollen. „Manche haben so etwas wie ein Geheimnis, das bewahrt werden muss, um den Eltern gegenüber loyal zu bleiben“, erklärt die 40-Jährige.

Die deckenhohen Fenster im Familienzimmer geben den Blick frei auf den Marktplatz und den Hannes Fels, der sich wie ein steinerner Riese hinter den Fachwerkhäusern erhebt. So manchem Kind fällt ein Riesenbrocken vom Herzen, nachdem es sich der Schlichterin gegenüber geöffnet hat. „Dann merken sie, dass es gar nicht so schlimm ist, über das Geheimnis zu reden“, sagt Martina Schaldt.

Und die Kinderschlichterin reicht nicht nur Taschentücher, um Tränen zu trocken, sondern gibt auch wertvolle Tipps. Geschwistern empfiehlt sie etwa, Verbündete zu werden. Überhaupt sollen sich die Kinder öffnen, mit Freunden über die Trennung der Eltern sprechen, auf ihre Lehrer zugehen und auf Opa und Oma. „Die Kinder sollen keine Traumatisierung mitnehmen“, sagt Martina Schaldt. Das sei sehr wichtig.

Mit ihren Eindrücken geht sie dann in ein Schlichtungsgespräch mit den Eltern. Dort schildert sie, wie sie das Kind erlebt hat und welche offenen und versteckten Botschaften es gesendet hat. Die Eltern seien dann aufgerufen, zum Wohl ihres Kindes an einem Strang zu ziehen, sagt Lara Schmidt-Rüdt. „Sobald das Kind in den Vordergrund rückt, ist es für viele Eltern ein Anlass, wieder friedvoller miteinander ins Gespräch zu kommen.“