Noch immer ist unklar, wer nach dem Hangrutsch im Nürtinger Stadtteil Zizishausen für die Schäden einstehen muss. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt nun wegen des Verdachts der Baugefährdung gegen die Bauherren, eine Architektin, einen Statiker sowie einen Verantwortlichen einer Gartenbaufirma.

Nürtingen - Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt im Fall des Hangrutsches von Nürtingen-Zizishausen inzwischen nicht mehr gegen Unbekannt, sondern konkret gegen fünf Personen. Laut dem Behördensprecher Jan Holzner handelt es sich dabei um das als Bauherren eingetragene Paar, eine Architektin, einen Verantwortlichen einer Gartenbaufirma und einen Statiker. Es bestehe ein Anfangsverdacht der Baugefährdung und der sogenannten gemeinschädlichen Sachbeschädigung, weil es sich bei dem abgerutschten ehemaligen Steinbruch um ein Naturdenkmal gehandelt habe. Die Beschuldigten wüssten darüber Bescheid, dass gegen sie ermittelt werde. Die Ergebnisse weiterer Untersuchungen müssten jetzt abgewartet werden. Eine Baugefährdung liege im strafrechtlichen Sinne vor, wenn durch Verstöße Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet worden sei.

 

Unruhe und Frustration bei Anwohnern

Unabhängig vom Ermittlungsstand herrschen in der Panoramastraße im Nürtinger Stadtteil Zizishausen zehn Monate nach dem Erdrutsch bei zwei direkten Anwohnern große Unruhe und Frustration. Sie fühlen sich unzureichend informiert, im Stich gelassen, von einer Versicherung unter Druck gesetzt und sie fürchten, auf den an ihren Häusern und Grundstücken entstandenen Schäden sitzenzubleiben. Inzwischen haben sie ihrerseits bei der Staatsanwaltschaft gegen den Bauherrn Anzeige wegen Baugefährdung erstattet. Von seinem Grundstück war die Rutschung in der Nacht zum 8. Juni ausgegangen, nachdem eine große, unterhalb des Rohbaus angelegte Terrasse abgesackt war und große Teile des steilen Hangs mitgerissen hatte.

Noch immer stehen sechs Container zur Hangsicherung auf der Panoramastraße. Laut der Stadtverwaltung Nürtingen sollen sie demnächst abtransportiert werden, denn das nach wie vor mit riesigen Planen abgedeckte Gelände des ehemaligen Steinbruchs sei laut der Untersuchungsergebnisse von Geologen standsicher. Zwei Frauen, die mit ihren Familien in einem unmittelbar an den Unglückshang angrenzenden Doppelhaus leben, trauen dem Hang nach wie vor nicht. Die Angst vor einer erneuten Rutschung werden sie einfach nicht los, „seit zehn Monaten sind wir im Nichtschlafen geübt“, sagt eine der Nachbarinnen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Zumal sie über diese Messergebnisse nie unterrichtet worden seien und auch nie einen Gutachter auf ihren Grundstücken angetroffen hätten. „Wir werden nicht zu Besprechungen eingeladen, es fließen keine Informationen.“

Sie blicken mit Sorge auf die feinen sich voran arbeitenden Risse in ihren Hauswänden, auf Fliesenböden und in einem Fenster. Und mit Argwohn begutachten sie eine rund einen Quadratmeter große feuchte Stelle im nicht mehr vorhandenen Garten – obwohl es seit Wochen kaum geregnet hat. Die Dränage ihrer Doppelhaushälfte sei bei der Rutschung beschädigt worden, berichtet eine der Frauen. Dadurch sei inzwischen der Keller feucht, der Schimmel habe sich bereits über die Wände hergemacht.

Ohne die Kosten für die sie betreffende Hangsicherung rechnet sie mit einem Sanierungsaufwand von mindestens 150 000 Euro. Unternommen hätten sie bisher nichts, weil nicht sicher sei, „wer das dann bezahlt“. Die Haftpflichtversicherung des Bauherrn habe ihr 35 000 Euro zur Schadensregulierung angeboten, verbunden mit einer Abtrittserklärung, wonach sie dann auf weitere Forderungen an die Versicherung und den Bauherren verzichte. Ihrer Nachbarin seien zehn Prozent der inzwischen geltend gemachten Schadenssummen offeriert worden – das seien gerade einmal 2500 Euro. Die Wertminderung ihrer Häuser sei noch nicht einmal berücksichtigt.

Enttäuschung über Bauherr

So hätten sie sich das nicht vorgestellt, als der Bauherr kurz nach dem Hangrutsch behauptet habe: „Ich stehe dafür gerade.“ Von ihm sei in den vergangenen Monaten „nur Larifari“ zu hören gewesen, seine Ausführungen empfänden sie, „als wolle er Zeit schinden“. Beispielsweise drohten nach der Rutschung in Schieflage geratene Bäume angesichts starker Windböen auf ihre Seite zu stürzen, erzählt eine der Frauen. Es habe zwei Wochen gedauert, bis sie gefällt worden seien. Es werde immer nur das Notwendigste getan, „um den Dampf rauszunehmen“. Auch seiner Beteuerung, er werde als Bauherr „bis zum Abschluss des juristischen Verfahrens alle Kosten tragen müssen“, seien keine Taten gefolgt.

Zudem spiele der künftige Nachbar nicht mit offenen Karten. Ende des vergangenen Juni habe er ihnen ein Protokoll zukommen lassen, in dem die Folgen des Hangrutsches gemeinsam mit der Stadt aufgelistet worden seien. Der sie betreffende Passus „Risse auch auf Nachbargrundstück“ habe allerdings gefehlt. Im Gegensatz zur Originalfassung, deren Kopie sie jetzt im Zuge der durch ihre Anwälte beantragten Akteneinsicht erhalten hätten.

Der Bauherr kann allerdings eine unserer Redaktion vorliegende E-Mail-Nachricht vorlegen, in der er einem der Nachbarn mitgeteilt hat, „einen Punkt aus dem Protokoll rausgenommen“ zu haben. Welcher das ist, geht aus dem Schreiben jedoch nicht hervor. Auf Anfrage teilte er mit, er sei damals mit der Formulierung nicht einverstanden gewesen. Es sei eine Aussage im Protokoll enthalten gewesen, die er „so vor Ort nicht getroffen“ habe. Keinesfalls habe er die Nachbarn täuschen wollen. Ganz im Gegenteil, seine „oberste Priorität“ gelte deren Anliegen. Es tue ihm leid, „dass das alles so lange dauert“. Aber es sei wohl unterschätzt worden, dass die Erstellung der geologischen Gutachten so viel Zeit in Anspruch nehme. Außerdem habe offenbar „jeder Respekt davor, dort eine Entscheidung zu treffen“.

Warten auf Sicherungskonzept

Auch er warte darauf, dass die Schuldfrage geklärt wird. Für mögliche Versäumnisse, die zu dem Hangrutsch geführt hätten, „werden sich die entsprechenden Personen verantworten müssen“. Im Übrigen habe er für Hangsicherungsmaßnahmen 370 000 Euro privat beigesteuert. Auch das zeige, dass er und seine Partnerin bestrebt seien, „das Maximalste zu tun – und das zeitnah“. Seine Bauherrenhaftpflichtversicherung habe ihm gegenüber bestätigt, „in dieser Schadensangelegenheit, die durch den Hangrutsch verursachten und nachgewiesenen Schäden nach Sach- und Rechtslage bedingungsgemäß zu regulieren“. Laut einer Auskunft der Stadtverwaltung erwartet diese in den nächsten Tagen vom Bauherrn „ein Sicherungskonzept für den Hang in Form eines Bauantrags“.