Die Stadt hat Robert Ruthenberg das Melchiorgelände gebührenfrei zur Verfügung gestellt – und verweist auf hohe Anfangsinvestitionen des Gastronomen. Der Gemeinderat ist irritiert, einige Wirte sind empört über die Ungleichbehandlung

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Nürtingen - Die Geschichte des umstrittenen Biergartens im Nürtinger Melchiorareal direkt neben der Freien Kunstakademie ist um eine Facette reicher. Jetzt ist bekannt geworden, dass die Stadt im vergangenen Jahr mit dem Betreiber, dem Gastronomen Robert Ruthenberg, zwar einen Pachtvertrag geschlossen, darin aber ausdrücklich auf einen Pachtzins verzichtet hat. Das gilt sowohl für die erste Testphase eines solchen Biergartens während der Fußball-Weltmeisterschaft, als auch für die Verlängerung des Vertrags bis Ende September 2014.

 

Die Nachricht hat im Nürtinger Gemeinderat für erhebliche Irritationen gesorgt. Bisher sind offensichtlich alle Fraktionen davon ausgegangen, dass Ruthenberg den in der Stadt für Freiluftgastronomie üblichen Pachtzins gezahlt habe. „Natürlich ist es nicht die Aufgabe des Gemeinderats, Pachtverträge auszuhandeln“, erklärt Matthias Hiller, der Fraktionsvorsitzende der CDU. Auch kenne er die Gründe für das Vorgehen der Stadt noch nicht. Es sei aber „schwer nachzuvollziehen“, dass die Stadt von Anfang an auf einen Pachtzins verzichtet habe. Hermann Quast, der Fraktionschef der Liberalen, sieht das ähnlich. Im Sinne einer Gleichbehandlung der Nürtinger Gastronomen wäre es aus seiner Sicht selbstverständlich gewesen, dass die Stadt von Ruthenberg einen Pachtzins verlangt hätte. Wenn sich dann herausgestellt hätte, dass der Versuch mit einem Defizit für den Gastronomen ende, dann hätte man im Nachhinein immer noch auf das Geld verzichten können.

„Es sieht so aus, als habe jemand ein schlechtes Gewissen“

„Das ist ein starkes Stück“, sagt Otto Unger, der Fraktionschef der Freien Wähler. Es sei eine „Vorzugsbehandlung“ für Robert Ruthenberg, die man so nicht hinnehmen könne. Seine SPD-Kollegin Bärbel Kehl-Maurer, verweist darauf, dass jeder kleine Verein, der von der Stadt einen Zuschuss bekommen wolle, bis ins Detail nachweisen müsse, dass er das Geld brauche. Ein Pachtzinsverzicht sei ein städtischer Zuschuss, deshalb hätten hier die gleichen Maßstäbe angewandt werden müssen. Mehr Informationstransparenz fordert Julia Rieger von der Liste NT 14: „Ich frage mich schon, warum die Verwaltung gegenüber dem Gemeinderat nicht mit offenen Karten gespielt hat. Es sieht so aus, als hätte jemand ein schlechtes Gewissen“ Die Informationspolitik des Rathauses müsse schnell geändert werden.

Robert Ruthenberg hat für die Diskussion über die Gebührenfreiheit kein Verständnis. „Ich habe allein 10 000 Euro für den Stromanschluss gezahlt und insgesamt mit dem Biergarten ein Minus in Höhe von 40 000 Euro gemacht“, sagt er heute. Seit 15 Jahren habe er sich darum bemüht, an dieser Stelle die Stadt zu beleben. Dass er dafür jetzt öffentlich an den Pranger gestellt werde, sei „einfach nur ungerecht“.

Der Wettbewerb wird verzerrt

Ihrerseits inakzeptabel von der Stadt behandelt sehen sich Steffen Reichel und Roland Buxbaum, die Betreiber des Schlachthofgeländes. Der Biergarten im Melchiorareal habe für den Schlachthof im Selbstbedienungsbereich im vergangenen Sommer eine Umsatzeinbuße von rund 50 Prozent bedeutet. „Es kann doch nicht sein, dass die Stadt alteingesessenen Wirten so in den Rücken fällt und den Wettbewerb mit einem kostenlos zur Verfügung gestellten Gelände verzerrt“, sagt Reichel.

Die Verwaltung hat gestern den Pachtvertrag verteidigt. „Die Stadt wollte den Biergarten als Beitrag zum Stadtmarketing. Sie hat deshalb dem Experiment eine Starthilfe gegeben, indem sie die Pacht für die dreimonatige Testzeit erlassen hat“, heißt es in einer schriftliche Stellungnahme. Es handele sich dabei um eine Größenordnung von etwa 500 Euro. Der Gastronom habe aber „selbstverständlich“ für die Betriebskosten, die Logistik, die Security und sämtliche anfallenden Gebühren aufkommen müssen. Um eine Wettbewerbsverzerrung handele es sich bei dem Vertrag nicht: „Denn, wenn der Gemeinderat einem anderen Gastronomen den Zuschlag für den Probebetrieb gegeben hätte, hätte auch dieser keine Pacht zahlen müssen.“