Die Nürtinger Galeristin ist im Alter von 100 Jahren gestorben. Die Arbeit der Ruoff-Stiftung geht weiter.

Nürtingen - Knapp 34 Jahre Jahre ist Hildegard Ruoff von ihrem Mann Fritz Ruoff getrennt gewesen. Der Bildhauer und Maler war 1986 in seiner Heimatstadt Nürtingen gestorben. „Am Ende hatte ich hin und wieder das Gefühl, dass er mich gar nicht mehr brauchte“, sagte die Witwe in einem Interview in unserer Zeitung kurz vor Weihnachten 2013 rückblickend. Diese Erfahrung mache es ihr einfacher, selbst Abschied zu nehmen, wenn ihre eigene Stunde einmal da sein sollte.

 

Bei dem Interview war Hildegard Ruoff bereits 94 Jahre alt. Ans Abschied nehmen dachte die rüstige Grande Dame der Nürtinger Kunstszene aber noch lange nicht. Damals wie bis zuletzt hatte die gebürtige Stuttgarterin den Kopf voller Projekte. Jahr für Jahr stellte sie für die Fritz und Hildegard Ruoff Stiftung ein ambitioniertes Ausstellungsprogramm auf die Beine. Eine feste Größe war die Präsentation von Teilen aus dem Gesamtwerk Fritz Ruoffs, dessen Pflege sich die im Jahr 2003 gegründete Stiftung verschrieben hat. Hinzu kamen Sonderausstellungen mit Themen der zeitgenössischen Kunst.

In der Metzgerei schneidet Hildegard Ruoff Schnitzel

Dabei gingen Hildegard Ruoff die Ideen nie aus. Etablierten Künstlern gab die rührige Nürtingerin, die von sich sagte, ohne Kunst hätte sie nicht leben können, in den Galerieräumen der Stiftung ebenso ein Forum wie jungen Talenten. Die ehemalige Villa Pfänder, in der die Ruoffs Anfang der 1960er-Jahre auf Bitten der Mäzenin Auguste Pfänder das obere Stockwerk bezogen und die seit 2003 als Galerie der Stiftung dient, zeichnet eine besondere Atmosphäre aus. Ruhig und aufgeräumt ist es hier. Dies in Verbindung mit der gezeigten Qualität hat immer wieder Besucher nicht nur aus Nürtingen und Umgebung, sondern aus der gesamte Region Stuttgart und darüber hinaus angelockt.

Begonnen hat alles 1941 im Kunsthaus Schaller in Stuttgart. Dort trifft die 22-jährige Kunsthändlerin Hildegard Scholl den Maler und Bildhauer Fritz Ruoff, dessen Kunst von den Nazis in die Kategorie „entartet“ gesteckt worden ist. Zwischen ihr und dem 13 Jahre älteren Mann funkt es gleich. Zwei Jahre später heiraten die beiden, und die Stuttgarterin folgt Fritz Ruoff nach Nürtingen, wo das Stadtmädel in dessen elterlicher Metzgerei Wurst und Schnitzel schneidet und Knochen sägt. Später verkauft Hildegard Ruoff in einem Seifenhaus Kosmetika, auch als Sekretärin in einem Architekturbüro arbeitet sie, um sich und ihren Mann über Wasser zu halten. Durch die Zusammenarbeit mit dem Drucker Poldi Domberger lässt Fritz Ruoff in der Kunstszene schließlich aufhorchen.

Die Galeristin ist als Fotografin selbst künstlerisch tätig

Einzelausstellungen in London und New York in den 1960er- und 1970er-Jahren steigern den Grad seiner Bekanntheit. In all der Zeit ist Hildegard ihrem Fritz eine wichtige Stütze – gerade auch in seinen Krisen. Sie versteckt sich nicht hinter ihrem Mann. Mit ihrer Energie gründet sie nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise eine Leihbücherei und lernt den jungen Peter Härtling kennen. Hildegard Ruoff wird selbst künstlerisch tätig und fotografiert. Erst im vergangenen Herbst erwies sich Hildegard Ruoffs Fotoausstellung „Vom Finden“ in der Stiftung als Publikumsmagnet.

Am 5. Oktober 1986 stirbt Fritz Ruoff nach schwerer Krankheit. Jetzt ist ihm seine Hildegard im Alter von 100 Jahren gefolgt. Die Galeristin, die eine der prägendsten Figuren der Nürtinger Kunstszene war, ist laut der Nürtinger Kulturamtsleiterin Susanne Ackermann in der Nacht auf Freitag „ruhig eingeschlafen“.

Nikolai B. Forstbauer tritt die Nachfolge in der Stiftung an

„Liebe besteht nicht darin, dass man einander anschaut, sondern dass man gemeinsam in dieselbe Richtung blickt“, hat Hildegard Ruoff einmal die Beziehung zwischen sich und ihrem Mann mit einem Zitat von Antoine de Saint-Exupéry beschrieben. Woher komme ich, wohin gehe ich? Diese Frage fesselte beide gleichermaßen. Wenn man Hildegard Ruoff traf und sie fragte, wie es ihr gehe, pflegte sie zu sagen: „Ich bin einverstanden.“

Dieses Bekenntnis steht jetzt auch am Ende ihres Lebens. Die Arbeit der Fritz und Hildegard Ruoff Stiftung lebt fort. Die Nachfolge tritt Nikolai B. Forstbauer an. Der Stuttgarter Kunstwissenschaftler prägte bereits seit drei Jahren in Kooperation mit Hildegard Ruoff das künstlerische Programm der Stiftung.