Sigrid Emmert erhält das „Ei der Heckschnärre“ für ihre jahrzehntelange lokale Geschichtsforschung. Bei der Verleihung des SPD-Preises warnt sie vor einer Bausünde am Neckar.

Nürtingen - So bestimmt wie kaum ein Preisträger vor ihr hat Sigrid Emmert am Mittwoch die Verleihung des „Eis der Heckschnärre“ genutzt, um zu einem Nürtinger Reizthema Position zu beziehen. Vor einer „Bausünde“ warnte die frühere Vorsitzende des Schwäbischen Heimatbunds mit eindringlichen Worten.

 

Eine Bürgerinitiative wehrt sich gegen das geplante Hotel

„Die nach Tübingen zweitschönste Stadtansicht am Neckar soll mit einem übergroßen Hotel verbaut werden“, warnte die frischgebackene Trägerin des SPD-Preises in ihrer Rede, die zahlreiche Bürger, Stadträte, der Oberbürgermeister Otmar Heirich (SPD) sowie der Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) und der SPD-Bundestagsabgeordnete Nils Schmid mitverfolgten.

Zum Hintergrund: der Hotelier Hans-Joachim Neveling will auf Höhe der Fischtreppe ein Hotel mit 82 Betten, einem Biergarten und einer Terrasse bauen. Kritiker lehnen dies ab, weil sie den Verlust von Freiflächen am Ufer verhindern wollen. Gegen den vom Gemeinderat mehrheitlich beschlossenen Verkauf von Flächen an den Investor läuft ein Bürgerbegehren. Heirich hat angekündigt, mit der Bürgerinitiative einen Kompromiss zu suchen.

Eine Gesellschaft darf nicht kollektiv vor sich hindämmern

Geehrt worden ist Sigrid Emmert, weil sie „vielfältige Aspekte der Nürtinger Geschichte erforscht, viele einzelne Geschichtszeugnisse aufgearbeitet und dem Vergessen entrissen“ hat. Die Identifizierung von lange Zeit anonym gebliebenen Zwangsarbeiter-Gräbern, Forschungen zur Siechenkapelle, dem Nürtinger Altar und der Strohstraße sind nur wenige Beispiele auf der langen Liste von Sigrid Emmerts Verdiensten um die lokale Geschichte.

Wie wichtig es ist, das historische Gedächtnis einer Stadt zu wahren, erklärte Thomas Schnabel, der Leiter des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, in seiner Laudatio auf die Preisträgerin. Wer seine Vergangenheit nicht kenne und sich weder mit positiven noch mit negativen Ereignissen auseinandersetze, „vergibt sich jede Möglichkeit daraus zu lernen“, sagte der Museumsleiter. „Wir definieren unser Menschsein doch in hohem Maße durch unsere Erinnerung“, so Thomas Schnabel weiter. „Wie erschreckend es ist, wenn das nicht mehr geht, sieht man bei Demenzkranken“. Auch Kommunen können vor sich hin dämmern. In diesem Vergleich helfen Menschen wie Sigrid Emmert quasi dabei, eine Stadt vor Alzheimer zu bewahren.

Nürtingen soll sich an Tübingen ein Beispiel nehmen

Zum 34. Mal ist jetzt das „Ei der Heckschnärre“ verliehen worden. Die Auszeichnung ist Personen vorbehalten, die „aufrecht schnärrend“ ihr Revier verteidigen. Sigrid Emmerts Revier ist die Nürtinger Geschichte, wobei das laute Schnärren eigentlich nicht ihrer Art entspricht. „Es ist mir ein wenig peinlich“ – diese Feststellung von Sigrid Emmerts Lehrer Otto Zondler bei dessen eigener „Ei“-Verleihung 1986 gelte auch für sie, leitete die frühere Geschichts- und Lateinlehrerin ihre Rede ein.

Im Nürtinger Hotel-Streit lenkte sie den Blick auf die Tübinger Platanenallee, die Anfang des 20. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung geopfert werden sollte. Doch die stadtbildprägende Allee auf der Neckarinsel wurde gerettet. Sigrid Emmert führte ein fiktives Zwiegespräch mit der Heckschnärre: „Sag’s ihnen ganz deutlich, die Nürtinger sollen so g’scheit sein wie die Tübinger“, habe der Vogel sie gebeten. Am Ende ihrer starken Rede zitierte die Preisträgerin dann noch einmal Otto Zondler: „Schnärre mr’ weiter, vielleicht hilft’s.“