Der Energieversorger soll seine Anteile an den Stadtwerken Nürtingen (SWN) unrechtmäßig einer Konzerntochter übertragen haben. Die Stadt Nürtingen fordert Schadensersatz und will von den Karlsruhern die SWN-Anteile kaufen.

Nürtingen/Stuttgart - Gleich zu Beginn der Verhandlung findet Thomas Wetzel klare Worte. „In einer Ehe würde das zur sicheren Scheidung führen“, sagt der Vorsitzende Richter der 35. Kammer für Handelssachen am Landgericht Stuttgart mit erhobenem Zeigefinger in Richtung der EnBW-Vertreter. Sieben Jahre lang hat der Energieversorger die Stadt Nürtingen über die konzerninterne Verschiebung von Gesellschaftsanteilen an den Stadtwerken Nürtingen (SWN) im Unklaren gelassen. Die Stadt wertet dies als einen Vertrauensbruch und will die Anteile aufkaufen.

 

Nürtingen pocht auf ein Vorkaufsrecht

Die EnBW-Tochter NetzeBW hatte ihre rund 29 Prozent Beteiligung an den SWN im Jahr 2007 der EnBW Kommunale Beteiligungsgesellschaft (EKB) übertragen. Das hätten die Karlsruher aus Nürtinger Sicht nicht ohne weiteres tun dürfen. Die Stadt, die als Mehrheitsgesellschafter rund 71 Prozent der Anteile hält, pocht auf ihr in der Satzung verbrieftes Vorkaufsrecht. Empört sind die Nürtinger, weil sie von ihrem Partner in den Deal nicht eingeweiht waren. Erst im vergangenen Jahr war die Verschiebung zufällig ans Licht gekommen.

„Wir fühlen uns betrogen und nach Gutsherrenart massiv über den Tisch gezogen“, spiegelt Nürtingens Oberbürgermeister Otmar Heirich in der Verhandlung die Gefühlslage seiner Stadt wider. „Unter diesen Umständen ist es nicht mehr sinnvoll, weiter zusammenzuarbeiten“ – diesen Beschluss habe der Nürtinger Gemeinderat einstimmig gefasst.

Stadt hat Angst vor „Heuschrecken“

Bei dem Rechtsstreit stünden finanzielle Aspekte nicht im Vordergrund, erklärt der Stuttgarter Rechtsanwalt Ulrich Lambrecht, der Nürtingen in dem Rechtsstreit vertritt. Vielmehr sorge sich die Stadt, die EnBW könnte eines Tages ihre in der EKB zusammengefassten Stadtwerkebeteiligungen an einen Finanzinvestor veräußern. „Dann säße Nürtingen mit einer Heuschrecke an einem Tisch, und das will die Stadt vermeiden“, erläutert Lambrecht.

Heirich zufolge hatte der Konzern die Stadt gefragt, ob sie mit einer Verschiebung der SWN-Anteile in die EKB einverstanden wäre. „Wir haben dann schriftlich und mündlich erklärt: ,Nein, das wollen wir nicht‘“, sagt der Oberbürgermeister. Dieselben Bedenken wie heute habe die Stadt bereits damals gehabt. Aus Sicht der Stadt hat die EnBW die Vertrauensbasis zerstört. „Wenn man sich als Gesellschafter nicht mehr über den Weg traut, dann ist es schwierig, für die Zukunft strategische Entscheidungen zu treffen“, meint Heirich. Als Alleingesellschafterin, fügt er hinzu, könnte die Stadt künftig freier und flexibler agieren. In der Partnerschaft mit der EnBW sehe Nürtingen für sich keine Vorteile mehr.

EnBW: kein wirtschaftlicher Schaden entstanden

Man sei „bestürzt“ über die Vorwürfe, erklärt im Gerichtssaal der Stuttgarter Rechtsanwalt Jochen Lamb für die Beklagtenseite. Dass der Konzern die Stadt jahrelang nicht informierte, sei gewiss „kein Ruhmesblatt für die EnBW“. Dafür habe er sich im Aufsichtsrat der Stadtwerke auch entschuldigt, sagt Steffen Ringwald. Der EKB-Geschäftsführer betont aber, „dass durch die Abspaltung kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, definitiv nicht“. Der Konzern habe mit der Stadt zehn Jahre lang „bestens zusammengearbeitet“ und den Partner „nicht über den Tisch ziehen wollen“.

Anders als die Stadt sehen die EnBW-Vertreter das Vertrauensverhältnis nicht irreparabel beschädigt. In die von Nürtingen beantragte Scheidung will das Unternehmen jedenfalls nicht einwilligen, zumal es sich formaljuristisch im Recht wähnt. „Die Rechtslage ist eindeutig: Die EnBW hat keine Pflichten verletzt“, sagt der Anwalt Jochen Lamb. Die Beklagten vertreten den Standpunkt, dass die Vorkaufsrechtsklausel, auf der Nürtingen besteht, im Fall einer Anteilsübertragung innerhalb eines Konzerns nicht greift.

Kommunen heben Stadtwerke aus der Taufe

Ohnehin sei die Sorge unbegründet, die EnBW könnte die EKB-Beteiligungen an einen Finanzinvestor veräußern. „Strategisch ist das völlig unvorstellbar“, sagt dazu Ringwald. „Das ist ein potemkinsches Dorf, das die Stadt Nürtingen hier aufmacht“, meint Lamb. Ob sich die Partner zusammenraufen oder ob das Gericht voraussichtlich im Dezember ein Urteil sprechen muss, ist offen. In der Verhandlung hat der Richter durchblicken lassen, dass er einen Vertrauensverlust nachvollziehen kann. „Wenn jemand eine Treuepflichtverletzung begangen hat, dann die EnbW“, sagt Wetzel.

Nürtingen taxiert den Streitwert der EKB-Anteile an den SWN mit rund sieben Millionen Euro. Steffen Ringwald will sich zu dieser Zahl indessen nicht äußern. Würde Nürtingen die Anteile kaufen, dann bekäme die Stadt das restliche Viertel eines profitablen Kuchens. Bundesweit gibt es einen Trend zur Rekommunalisierung auf dem Energiesektor. Der Verband kommunaler Unternehmen in Berlin verzeichnete in den vergangenen zehn Jahren rund 140 Stadtwerkeneugründungen, unter anderem die in Stuttgart vor vier Jahren.