Die Denkmalbehörde führt das Hölderlinhaus nicht auf ihrer Liste, weil es sein barockes Erscheinungsbild verloren habe. Der Hölderlinverein hält dies für einen Fehler und hat Sorge, für ein Bildungszentrum könnte das Gebäude umgemodelt werden.

Nürtingen - Die Chancen, dass das Hölderlinhaus in Nürtingen unter Denkmalschutz gestellt wird, stehen nicht gut. Aus der Sicht des Landesamts für Denkmalpflege fehlen dafür die Voraussetzungen. „Das heute überlieferte Gebäude, in dem die Volkshochschule untergebracht ist, hat aufgrund der mehrfachen Veränderungen und Umbauten nichts mehr mit dem Wohnhaus Friedrich Hölderlins gemein und kann daher nicht mehr die Wohnverhältnisse der Familie Hölderlin dokumentieren“, erklärt Nadine Hilber, eine Sprecherin des Regierungspräsidiums (RP), auf Nachfrage. An der 1978 getroffenen Feststellung habe sich nichts geändert.

 

Hölderlinverein warnt vor zu großen baulichen Veränderungen

Wie berichtet, sorgt sich der Verein Hölderlin-Nürtingen, dass das Haus für das geplante Projekt Bildungszentrum am Schlossberg so gravierend umgebaut werden könnte, dass es seine Authentizität verlöre. Das Gebäude soll gemeinsam mit der Schlossbergschule und der Musikschule saniert werden und dann ein Ensemble bilden, in dem die Kulturverwaltung, die Volkshochschule und die Musikschule untergebracht werden. Weiter ist eine Gedenkstätte für den Dichter geplant, der als Kind und Jugendlicher im Hölderlinhaus gelebt hat. Für das Bildungszentrum soll es einen städtebaulichen Wettbewerb geben. Im Jahr 2009 hatte der Bauhistoriker Johannes Gromer das Gebäude auf seine historische Substanz hin untersucht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass viel mehr „Hölderlin“ im Hölderlinhaus stecke als von der Stadtverwaltung angenommen. Die Denkmalpflege prüfte erneut, blieb aber bei der ursprünglichen Einschätzung. Vom Umbau 1812 zu einem Schulhaus sei auch die ehemals von der Familie Hölderlin bewohnte Etage betroffen gewesen.

Neben Grundrissveränderungen verweist die Behörde auch an eine Aufstockung im Jahr 1904. Die neue Dachform habe das ehemals barocke Erscheinungsbild „total verändert“. Zudem sei die Fassade geglättet und vereinfacht. Fazit: „Die wohl im Inneren noch erhaltenen gusseisernen Stützen und Wandtäfer aus der Zeit der Nutzung als Schule sind für eine Denkmaleigenschaft nicht ausreichend.“ Als Kulturdenkmal einzustufen seien lediglich drei Haustafeln, die an die Geschichte des Gebäudes erinnern.

Bauhistoriker: Durch die Maschen der Denkmalpfleger gefallen

Ingrid Dolde hält die Einschätzung der Denkmalbehörde für „völlig falsch“. Das Hölderlinhaus sei sehr wohl schützenswert, ist die Vorsitzende des Vereins Hölderlin-Nürtingen überzeugt. Sie stützt sich zum einen auf das Gutachten von Johannes Gromer. In einer Ausgabe der „Schwäbischen Heimat“ äußerte sich der Bauforscher vor drei Jahren so: „Bei der Listen-Inventarisation der Denkmalpfleger der 1980er-Jahre ist der Bau erstaunlicherweise durch die Maschen gefallen – und deswegen heute kein Kulturdenkmal.“

Zudem, argumentiert Ingrid Dolde, sei es zu kurz gegriffen, das Hölderlinhaus auf seine Architektur zu reduzieren. Sie lenkt den Blick auf die Kulturgeschichte. An der Stelle des Gebäudes stand einst der Schweizerhof. Dieser gehörte zum Ensemble des Schlosses, das beginnend im 15. Jahrhundert für die württembergischen Herzogswitwen gebaut worden war. Der Name Schlossberg erinnert heute noch an den geschichtsträchtigen Ort. Zusammen mit der literatur- und der sozialgeschichtlichen Bedeutung des Hölderlinhauses steht für Ingrid Dolde außer Frage, dass es sich um ein schützenswertes Gebäude handelt. Die Stadtverwaltung sieht indes keinen Anlass für einen Vorstoß bei der Denkmalbehörde.

Den Abriss verhindert

Historisches:
Das Hölderlinhaus in der Neckarsteige diente der Familie Hölderlin von 1774 bis 1798 als Wohnhaus. Friedrich Hölderlin verbrachte dort seine Kindheit und Teile seiner Jugend. „Der Mutter Haus“ war für den Dichter auch später immer wieder ein Ort der Zuflucht.

Abriss:
Im Jahr 2007 stellte das Rathaus seine Pläne für ein neues Verwaltungs- und Kulturzentrum in der Neckarsteige vor. Um einem Neubau Platz zu machen, sollte das Hölderlinhaus abgerissen werden.

Widerstand:
Viele Bürger wollten sich mit dem Abriss nicht abfinden. Allen voran die frühere Lehrerin Barbara Leib-Weiner machte auf den historischen Wert des Gebäudes aufmerksam, den das Technische Rathaus aber bestritt. Als Folge der Proteste landeten die Abriss- und Neubaupläne schließlich in der Schublade.