Der britische Künstler Robert Koenig kommt mit seinem Kunstprojekt „Odyssey“ an den Neckar. Die Skulpturen symbolisieren Flucht und Vertreibung im 2. Weltkrieg. Mit Blick auf die derzeitigen Flüchtlingsbewegungen ist das Kunstprojekt aktueller denn je.

Nürtingen - „Odyssey“ wächst. Derzeit umfasst das Kunstprojekt 44 Holzskulpturen, die Robert Koenig Mitte Juli nach Nürtingen begleiten werden. Der britische Künstler kommt mit seiner mobilen Ausstellung an den Neckar. Eine Woche lang wird der 63-Jährige dort auf dem Schlagplatz der Freien Kunstakademie (FKN) zwei Stämme bearbeiten. Nummer 45 und 46 sollen dann am 26. Juli enthüllt werden. Eine der beiden Skulpturen verbleibt dann – wie bei diesem Kunstprojekt üblich – an ihrem Entstehungsort.

 

Künftig wandert die etwa 2,50 Meter große menschliche Figur in Nürtingen als „Wächter der Erinnerung“ zunächst von Schule zu Schule. Im Unterricht soll das Gebilde die Erfahrungen von Flucht, Vertreibung, Heimatlosigkeit und Verlust symbolisieren. Auf diese Weise, so die Erwartung, wird das in der Zeit des Nationalsozialismus verursachte Leid für die junge Generation ein stückweit anschaulicher.

Spirituelle Reise auf dem Fluchtweg der Mutter

Die Stadt Nürtingen ist nach Leutkirch, Memmingen und Weingarten die vierte Station von „Odyssey“ in Deutschland. Begonnen hat Robert Koenig mit seinem Projekt vor 19 Jahren. Die Figuren mit ihren unterschiedlichen Zügen stellen Erniedrigte dar, deren Würde durch die skulpturale Übergröße symbolisch erhöht wird. Sie erinnern an erzwungene oder freiwillige Migration, Entwurzelung, Heimatlosigkeit und Vertreibung. Koenig unternimmt eine spirituelle Reise, die dem tatsächlichen Weg entspricht, den seine Mutter im Jahr 1942 gehen musste, vertrieben aus ihrem Heimatort in Polen, bis sie schließlich in England auf sicherem Boden Fuß fasste.

Mit „Odyssey“ habe Nürtingen „ein ganz besonderes Kunstprojekt an Land gezogen“, sagt der Oberbürgermeister Otmar Heirich. Denn angesichts der derzeit durch politische Krisen ausgelösten Flüchtlingsbewegungen lenkten Koenigs Skulpturen den Blick nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch auf die aus Syrien, Irak und aus anderen Ländern flüchtenden Menschen. Die Ausstellung, die eine Brücke schlägt zwischen der Vertreibung im Zweiten Weltkrieg und den aktuellen Erfahrungen mit Flüchtlingen, werde, davon ist die Nürtinger Kulturbürgermeisterin Claudia Grau überzeugt, eine „überregionale Ausstrahlungskraft“ entwickeln.

Workshops mit Schülern und Studenten

Rund 12 000 Euro ist der Stadt dieses von der Pfarrerin Barbara Brückner-Walter und der Nürtinger Gedenkinitiative NS-Opfer angestoßene Projekt wert, in das sich eine ganze Reihe von Kooperationspartnern eingeklinkt haben: Neben der FKN sind die Volkshochschule, das Stadtmuseum, die Kirchengemeinden, die Nürtinger Schulen und das internationale Jugendworkcamp eingebunden. Entsprechend umfangreich ist das Rahmenprogramm.

Zusätzlich zu seiner Arbeit an den beiden Skulpturen hält Robert Koenig Schnitztechnik-Wokshops für Schüler und Studenten. Drei Konfirmandengruppen treffen den Künstler zu einer Gesprächsrunde. Außerdem sind Rundgänge zu den vier Ausstellungsstandorten geplant. Platziert werden die 44 Skulpturen an der Stadtkirche, auf der Stadtbrücke, am Neckar und am Stadtmuseum.

Bei seiner Arbeit lässt sich Koenig gerne über die Schultern schauen. Der Künstler freut sich auf Begegnungen und viele Gespräche.

Die Enthüllung ist der Auftakt zur Sommerpredigtreihe

Eröffnung
: Die Ausstellung „Odyssey“ mit 44 Skulpturen an vier Standorten wird am 17. Juli um 18 Uhr in der Stadtkirche eröffnet. Den Festvortrag hält Thomas Schnabel vom Haus der Geschichte in Stuttgart. Eintrittskarten für die Feier sind kostenlos am i-Punkt im Rathaus erhältlich.

Enthüllung
: Die fertige Figur, die in Nürtingen bleibt, wird am 26. Juli um 10 Uhr in der Lutherkirche der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Enthüllung bildet gleichzeitig den Auftakt zur Sommerpredigtreihe, bei der sonntags im Gottesdienst das Thema Flucht und Vertreibung im Mittelpunkt steht.

Rundgänge
: Das Stadtmuseum und die Gedenkinitiative bieten mehrere Rundgänge an. Dabei geht es unter anderem um Judenverfolgung, Zwangsarbeiter, politische Verfolgung und Zwangssterilisation.