Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) hat sich für eine Nahverkehrsabgabe ausgesprochen. Der Vorschlag löst wütende Proteste aus. Wir haben die Reaktionen zusammengefasst und stellen die Modelle vor.

Stuttgart - Die CDU-Landtagsfraktion wird wie bisher kein Gesetz unterstützen, das den Städten die Erhebung einer Nahverkehrsabgabe ermöglicht. „Zwangsabgaben sind in der heutigen Zeit keine Lösung“, sagte Wolfgang Reinhart, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion als Reaktion auf einen Vorschlag von OB Fritz Kuhn (Grüne) im Interview mit unserer Zeitung. „Wir sollten die Freiheit und das Mobilitätsbedürfnis der Menschen respektieren“, so Reinhart.

 

CDU und FDP gegen Abgabe

Auch die Stuttgarter CDU lehnt die Abgabe ab. „Sie wäre ein weiterer harter Schlag für Berufspendler und ein Nachteil für den Wirtschaftsstandort“, sagte Kreisvorsitzender Stefan Kaufmann. FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke sprach vom „nächsten Folterinstrument, das Kuhn aus der grünen Mottenkiste hervorholt. Eine solche Zwangsabgabe wäre ein unsozialer Schlag ins Gesicht aller Pendler.“

Dagegen sprang Andreas Schwarz, Fraktionschef der Grünen im Landtag, seinem Parteifreund Kuhn bei. „Eine Nahverkehrsabgabe ist grundsätzlich ein sinnvolles Instrument, um den Ausbau des Nahverkehrs voranzubringen. Nachdem es aus immer mehr Kommunen den Wunsch nach deutlich mehr Mitteln für die Mobilität der Zukunft gibt, halten wir es für sinnvoll, die rechtlichen Rahmenbedingungen und wirtschaftlichen Folgen zu prüfen“, erklärte Schwarz. Momentan lässt das Verkehrsministerium mit mehreren Städte darüber ein Gutachten erarbeiten.

Patt in Landesregierung

Damit gibt es in der grün-schwarzen Landesregierung weiter ein Patt, nachdem die CDU bereits vor einem Jahr einen entsprechenden Vorstoß des Landesverkehrsministers von den Grünen, Winfried Hermann, gestoppt hatte. Hermann befürwortet ebenfalls die Abgabe, weil die Kommunen, die über die Einführung entscheiden würden, mehr Geld für den ÖPNV benötigten. Im Koalitionsvertrag ist die Nahverkehrsabgabe aber nicht verankert. Damit hat Kuhns Idee zumindest bis zur Landtagswahl 2021 keine Chance auf Realisierung, da ohne eine Gesetz des Landes die Stadt Stuttgart die Abgabe nicht einführen kann.

Verschiedene Modelle zur Nahverkehrsabgabe

Unter den Begriff Nahverkehrsabgabe fallen verschiedene Modelle, die über die bestehende Finanzierung des Nahverkehrs aus Mitteln der öffentlichen Hand, also von Bund, Land und Kommunen, und aus Fahrgeldeinnahmen hinausgehen. Die Nahverkehrsabgabe kann für alle Bürger oder für alle Halter von Kraftfahrzeugen erlassen werden, sie kann aber auch nur von denjenigen Autofahrern erhoben werden, die eine bestimmte Strecke, beispielsweise in die Innenstadt, fahren wollen – letzteres heißt auch Citymaut. Kuhn sprach im Interview mit unserer Zeitung von einer Nahverkehrsabgabe „für Autofahrer, die ein ÖPNV-Ticket beinhaltet.“ Das legt ein Modell nahe, das die Stuttgarter Grünen in Anwesenheit Kuhns im Frühjahr diesen Jahres beschlossen haben. Die Stuttgarter Autofahrer müssen 365 Euro bezahlen und erhalten dafür einen Jahresfahrschein für Bus und Bahnen. Wer sein Auto sporadisch nutzt oder aus dem Umland tageweise in die Stadt fährt, könne statt der 365-Euro-Variante für jeden Tag ein VVS-Ticket lösen, so das Modell. Das müsste er im Auto mitführen. Unterstützt wird diese Idee von Umweltverbänden wie dem Verkehrsclub Deutschland. „Jeder kann mit dem Auto weiter in die Stadt fahren, wenn er eine Karte für den öffentlichen Nahverkehr hat“, sagte Landesvorsitzender Matthias Lieb.

SPD für Alternative

Der SPD-Fraktionschef im Rathaus, Martin Körner, plädiert für ein anderes Modell: Das verpflichtende Jobticket sei „gerechter und angemessen“. Die Unternehmen in der Region sollten in Anlehnung an das freiwillige Jobticket pro Mitarbeiter einen bestimmten Betrag für den Nahverkehr abführen – unabhängig davon, ob die Beschäftigten mit dem Auto oder dem ÖPNV zur Arbeitsstelle fahren. Daraus könnte dann ein 365-Euro-Jahresticket für das gesamte VVS-Gebiet finanziert werden.