OB-Wahl am Sonntag in Sindelfingen Max Reinhardt betont klare Haltung

Das muslimische Fastenbrechen auf dem Sindelfinger Marktplatz hat sich zu einer riesigen Veranstaltung entwickelt – inwieweit ist hier ein kritischer Dialog möglich? Foto: Stefanie Schlecht

Vor der Sindelfinger OB-Stichwahl reagiert Kandidat Max Reinhart auf Vorwürfe, er habe im Wahlkampf die Nähe zu türkischen Extremisten nicht gescheut.

Ein langer Wahlkampf befindet sich kurz vor dem Ziel. Am Sonntag treten FDP-Stadtrat Max Reinhardt (25) und Markus Kleemann (CDU, 40), seit zehn Jahren Bürgermeister von Oberstenfeld bei Ludwigsburg, zur Stichwahl um den Oberbürgermeister-Posten in Sindelfingen an.

 

Klare inhaltliche Unterschiede gab es zwischen den beiden Bewerbern wenige, dafür wurde der Wahlkampf zuletzt persönlicher. „Diese Dynamik ist normal, zunächst geht es mehr um Inhalte, am Ende spitzt sich das zu“, analysiert Max Reinhardt am Freitag. Der 25-Jährige spielte insbesondere die Karte des hier Verwurzelten, er kenne die Stadt und die Rathausarbeit, sei bereits vielfältig engagiert und vernetzt. Sein Konkurrent Markus Kleemann betonte im Wahlkampf seine langjährige Erfahrung als Bürgermeister und dass er den Blick von außen mitbringe.

Wahlbeteiligung unter 40 Prozent

Trotz des guten Felds mit insgesamt neun Kandidatinnen und Kandidaten lag die Beteiligung im ersten Wahlgang vor zwei Wochen bei nicht einmal 40 Prozent – enttäuschend und doch bei Wahlen auf kommunaler Ebene kein seltener Wert. „Das hat mich geschmerzt – entsprechend viel war ich in den vergangenen Tagen noch einmal unterwegs“, so Reinhardt, „da trifft man Leute, die gar nichts von der Wahl mitbekommen haben oder nicht wissen, dass sie wählen dürfen.“ Insbesondere bei Jungwählern und bei Menschen mit Migrationshintergrund sehe er Bedarf, verstärkt für ihre demokratischen Mitsprachemöglichkeiten zu werben. Gerade bei einer so heterogenen Stadt wie Sindelfingen sei es wichtig, auch Milieus aufzusuchen, die politisch schwierig zu erreichen seien. „Viel bewirken kann man hier über das Ehrenamt in den Vereinen“, sagt Reinhardt, „damit nicht nur ein Nebeneinander, sondern ein Miteinander entsteht.“

In Sindelfingen haben mehr als die Hälfte der rund 65 000 Einwohner Migrationshintergrund, etwa zehn Prozent türkische Wurzeln. Vor Ort sitzen auch Vereinigungen, die extreme Inhalte vertreten. Die Islamische Gemeinschaft Mili Görüs (IMGM) wird vom Verfassungsschutz beobachtet, das Deutschsprachige Islamzentrum Sindelfingen gilt laut der Sicherheitsbehörde als „ein Schwerpunkt der salafistischen Szene im Großraum Stuttgart“. Der Ditib-Verband, der die Moschee auf dem Goldberg führt, untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet und damit Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Gleichzeitig sind diese Organisationen in Sindelfingen seit vielen Jahren sehr präsent – ein Phänomen, mit dem sich auch die OB-Kandidaten auseinandersetzen müssen.

In einem Artikel dieser Zeitung wurde Max Reinhardt dafür kritisiert, zuletzt im Wahlkampf einen zu sorglosen Umgang mit diesen Vereinigungen gepflegt zu haben. Unter anderem waren bei einem von Reinhardt organisierten Fastenbrechen nahe der Ditib-Moschee mehrere Vertreter und Mitglieder von zum Teil extremistischen Organisationen anwesend, anschließend postete der 25-Jährige auf Instagram dazu Worte wie „Gemeinschaft. Respekt. Zusammenhalt“. Hat er es an kritischer Distanz vermissen lassen?

Max Reinhardt weist die Vorwürfe von sich. „Ich lehne jede Art von Extremismus ab“, betont der Jurist, „ich finde aber gleichzeitig , dass man den Dialog pflegen muss, – auch mit Organisationen, die zum Teil problematische Ansichten haben.“ Hier stehe er in der Tradition des christlich-muslimischen Dialogs, den es in Sindelfingen seit 1998 gibt. Er habe eigene Fastenbrechen-Veranstaltungen initiiert, um mit Muslimen in den Austausch zu gehen, „aber ich kann 60 bis 70 Gäste nicht alle auf ihre Gesinnung kontrollieren“. Er könne sich vorstellen, in Zukunft ein großes Fastenbrechen mit der Stadt als Veranstalter zu organisieren – um von städtischer Seite den inhaltlichen Rahmen setzen zu können.

Dass gemeinsame Fotos auf sozialen Plattformen im Internet, die eine unkritische Nähe suggerieren, problematisch sein können – das räumt Max Reinhardt ein. „Solche Bilder können eine relativierende und legitimierende Wirkung haben.“ Da müsse man vorsichtig sein. „Für mich ist das ein Anstoß, klare Regeln zu entwickeln, die Haltung zeigen – ohne pauschal auszugrenzen.“ Gleichzeitig dürfe sich nicht die Konsequenz ableiten, dass er aus Angst vor Fehlinterpretationen jegliche Fotos vermeide und jede Facebook-Abfrage ablehne. „Den Dialog zu pflegen und gleichzeitig klare Werte zu vermitteln – das ist eine große Herausforderung – aber dem will ich mich stellen und gehe auch nicht unvorbereitet in diese Aufgabe.“

Auch deshalb hat sich Max Reinhardt in sein vielköpfiges OB-Wahl-Kompetenzteam Mathieu Coquelin geholt, der die „Fachstelle Extremismusdistanzierung“ in Baden-Württemberg leitet. „Wir wollen es nicht bei der allein kritischen Rückmeldung an problematische Organisationen bewenden lassen, sondern neue Formate des kritischen Austauschs in Sindelfingen entwickeln“, erläutert Coquelin, „aber es bleibt ein Spagat: einerseits klar Position beziehen, andererseits aufeinander zugehen.“

Keine direkte Kritik von Kleemann

Reinhardts Herausforderer Markus Kleemann hält sich in diesem Punkt mit Kritik an seinem Mitbewerber zurück: „Ich stehe ein für ein friedliches und freiheitliches Deutschland und Europa. Was andere tun, müssen andere verantworten. Mit Kommentaren dazu halte ich mich raus.“ Wenngleich er selbst im Wahlkampf an einem Ditib-Fastenbrechen teilgenommen hat und einer Einladung der IGMG gefolgt ist zu deren traditionellem Frühlingsfest Kermes. Genau informiert über deren auch problematische Umtriebe hatte er sich im Vorfeld nicht: „Welche Tendenzen es innerhalb Mili Görüs gibt, war mir nicht im Detail bekannt. Allerdings habe ich mit der Sindelfinger Stadtverwaltung geklärt, ob Vertreter der Stadt dort sein werden, was zeitgleich der Fall war.“ Kleemann fuhr somit im Kielwasser des scheidenden Oberbürgermeisters Vöhringer, der nach 24 Amtsjahren nicht wieder antritt.

Ansonsten sind die inhaltlichen Differenzen zwischen den beiden Bewerbern überschaubar. Auf die Frage, was ihn inhaltlich überhaupt von Reinhardt unterscheide, antwortet Kleemann: „Ich trete ein für eine starke lokale Wirtschaft, eine familienfreundliche Stadt sowie Sauberkeit und Sicherheit in allen Stadtteilen. Um den Sanierungsstau abzubauen, muss die Stadt mehr – und vor allem schneller – umsetzen. Mit einem unabhängigen Blick von außen und meiner zehnjährigen Erfahrung als Bürgermeister möchte ich diese Themen angehen und Brücken bauen.“ All diese Ziele würde Reinhardt, der solche Themen schon Wochen vorher im Wahlkampf setzte, sicher auch unterschreiben.

Stichwahl in Sindelfingen

Duell
 Am Sonntag, 25. Mai, treten Max Reinhardt und Markus Kleemann zur Oberbürgermeister-Stichwahl in Sindelfingen an. Die Wahllokale sind bis 18 Uhr geöffnet. Im Foyer des Rathauses lassen sich danach live die einlaufenden Ergebnisse verfolgen. Das Endresultat wird gegen 19 Uhr erwartet.

Wahlberechtigt
sind alle deutschen Staatsangehörigen sowie Unionsbürgerinnen und -bürger, die seit mindestens drei Monaten ihren Hauptwohnsitz in Sindelfingen haben und mindestens 16 Jahre alt sind. 

Erster Wahlgang
  Am 11. Mai waren neun Kandidatinnen und Kandidaten angetreten. Max Reinhardt hatte im ersten Wahlgang 37,0 Prozent der Stimmen erhalten, Markus Kleemann 35,4 Prozent. Der drittplatzierte Lukas Rosengrün (SPD), Bürgermeister in Ehningen, kam auf 22,6 Prozent. Cengiz Karakas erhielt als Viertplatzierter 1,8 Prozent, alle weiteren Kandidatinnen und Kandidaten blieben unter einem Prozent.

Wahlrechtsreform
  Erst seit 2023 ist festgelegt, dass bei Bürgermeisterwahlen zum zweiten Wahlgang nur die beiden bestplatzierten Kandidaten antreten.

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