Was braucht ein Oberbürgermeister? Nicht nur, aber auch eine „Saukuttel“, sagt Stefan Gläser, ehemaliger OB von Wertheim und Vorstand des Städtetags Baden-Württemberg.


Stuttgart. Herr Gläser, Sie waren 22 Jahre lang Oberbürgermeister von Wertheim und haben aufgehört. Hat es keinen Spaß mehr gemacht?
Spaß ist nicht das richtige Wort. Das Amt eines Oberbürgermeisters auszufüllen vermittelt Freude, berufliche Befriedigung und Zufriedenheit, weil man Ziele erreicht. Spaß hat man vielleicht in der Nachsitzung des Gemeinderats in der Weinstube, ansonsten ist der ziemlich rar.

Aber dafür ist die Macht groß . . .
Ein OB hat in Baden-Württemberg die Funktionen eines Bundeskanzlers, eines Bundestagspräsidenten und eines Bundespräsidenten in einer Person. Er ist Chef der Verwaltung und oberster Dienstherr aller Beschäftigten. Er ist Vorsitzender des Gemeinderats mit Sitz und Stimme, er leitet die Sitzung, formuliert die Vorlagen und legt die Tagesordnung fest. Er ist der Repräsentant der Stadt nach außen. Er nimmt, was oft vergessen wird, auch staatliche Aufgaben wahr als Chef der Baurechts-, Umwelt- und Ordnungsbehörde. Da hat ihm der Gemeinderat nicht reinzureden. Also: das Feld ist enorm groß.

Was bedeutet das für das Profil eines OB?
Als OB sollte man entscheidungsfreudig sein, man sollte Ziele für die Verwaltung formulieren. Ein OB muss in der Lage sein, sich in die Bandbreite der Aufgaben einzuarbeiten. Er muss kein Spezialist sein, aber er muss durchschauen, worum es geht.

Hat sich das Verhältnis zur Bürgerschaft verändert?
Das Thema Bürgerbeteiligung hat Hochkonjunktur. Wir sehen große Chancen für den kommunalen Frieden, aber man muss aufpassen, dass man nicht überzieht. Für den OB ist das eine neue Herausforderung.

Fällt es auch deshalb immer schwerer, Bewerberinnen oder Bewerber für einen OB-Sessel zu finden?
Das ist ja nicht nur eine Entscheidung einer Person, sondern das betrifft den Partner oder die Partnerin und die Familie. Sie werden als Teil des OB wahrgenommen, das ist eine Art private Öffentlichkeit. Und nicht wenige sagen: Ich möchte nicht, wenn ich ins Freibad gehe, dass alle gucken und sagen, das ist die Familie des OB. Dazu kommt die Beanspruchung des Amtes an sieben Tagen in der Woche. Diese hohe Belastung ist für viele nicht mehr akzeptabel.

Die Suche wird also schwieriger.
Ja, das ist so. Hinzu kommt, dass die Anforderungen an einen OB – Stichwort: Bürgerbeteiligung – größer werden. Das Amt ist anstrengend, die Bezahlung ist auf die Stunde gerechnet mäßig – und es wird einem, was immer man macht, ständig auf die Finger geschaut. Da braucht man schon Herzblut und Idealismus, und man muss die Motivation haben, ein Gemeinwesen gestalten zu wollen. Es ist zudem nicht einfacher geworden, mit dem Gemeinderat die Politik schiedlich-friedlich zu gestalten. Dazu bedarf es eines Oberbürgermeisters mit einer – auf gut Schwäbisch – Saukuttel, mit viel Geduld, einer großen Belastbarkeit und mit der Fähigkeit, auf Menschen trotz allem freundlich und aufgeschlossen zuzugehen. Man muss die Menschen mögen, sonst kann man nicht Oberbürgermeister sein.