Am Sonntag wählt Stuttgart einen neuen Oberbürgermeister. Warum ist der Ausgang der Wahl so wichtig? Warum sind die Grünen raus? Und wer hat die besten Chancen auf den Sieg? Ein Überblick.

Stuttgart - Wenigstens eines ist absolut sicher vor dem entscheidenden Wahlgang am Sonntag: Stuttgart wird einen neuen Oberbürgermeister bekommen, nach acht Jahren müssen die Grünen das Zepter abgeben. Wer allerdings den Platz des amtierenden OB Fritz Kuhn einnehmen wird, ist auch wenige Tage vor der Neuwahl völlig unklar. Es gibt zwar einen deutlichen Sieger aus dem ersten Wahlgang. Aber auf dem Weg ins Rathaus kann noch viel passieren.

 

Wer sind die Favoriten für die Neuwahl am Sonntag?

Zumindest auf dem Papier sieht es nach einem klaren Favoriten für die Neuwahl am 29. November aus. Im ersten Wahlgang holte CDU-Kandidat Frank Nopper 31,8 Prozent der Stimmen - ein deutlicher Vorsprung. Er führt auch nach der jüngsten Umfrage der Universität Hohenheim. Seine stärkste Konkurrentin Veronika Kienzle kam vor knapp drei Wochen nur auf 17,2 Prozent und schied enttäuscht aus. Es bleiben also noch der als unabhängiger Bewerber angetretene Sozialdemokrat Marian Schreier (15 Prozent), der diesen Anteil laut Hohenheimer Umfrage wohl verdoppeln kann, und Stuttgarts Stadtrat Hannes Rockenbauch vom Fraktionsbündnis SÖS/Linke (14 Prozent).

Warum ist der Ausgang der OB-Wahl so wichtig?

Stuttgarts Rathaus war jahrzehntelang eine Bastion der CDU. Nach dem Wahlsieg Kuhns galt die Stadt als Hochburg der Grünen. Nun verlieren sie den Chefposten, das kostet sie nicht nur Einfluss und Prestige. Der Verlust der Rathausspitze könnte auch als ein schlechtes Vorzeichen für die Landtagswahl im März 2021 interpretiert werden. Die Grünen weisen das zurück und betonen, es handle sich bei OB-Wahlen um regionale Persönlichkeitswahlen. Für die CDU wäre ein Sieg in Stuttgart im Gegenzug natürlich gute Werbung für die Wahl auf Landesebene im kommenden März.

Warum sind die Grünen nicht mehr im Rennen?

Kienzle ist gleich doppelt gescheitert: Zum einen gelang es ihr durch ihre eher zurückhaltende Art nicht, die Wähler in der Öko-Bastion Stuttgart von Profil und Programm zu überzeugen. Zum anderen schaffte sie es nicht, nach der Schlappe im ersten Wahlgang die anderen aussichtsreichen Bewerber aus dem Mitte-Links-Lager hinter sich zu versammeln. Sie sehe keine Chancen mehr für eine öko-soziale Mehrheit, räumte sie schließlich ein - und gab genervt auf.

Hinzu kommt, dass viele Stuttgarter 2012 bei der Wahl Hoffnungen auf Kuhn gesetzt hatten und enttäuscht wurden. Und dass keiner der prominenten Grünen wie Cem Özdemir oder Landtagspräsidentin Muhterem Aras den Hut bei der Wahl in diesem Jahr in den Ring werfen wollte.

Was spricht für den CDU-Kandidaten Nopper?

Der Oberbürgermeister von Backnang geht nach der ersten Wahl mit Rückenwind in die Entscheidung - und ohne Konkurrenz aus dem konservativen, wirtschaftsaffinen Spektrum. Nopper baut auf seinen guten Ruf als OB in der Kommune im Stuttgarter Speckgürtel, er verweist auf seine Wurzeln in der Landeshauptstadt und auf seine politische Erfahrung. Zudem ist sein konservativ gestricktes Programm wenig angreifbar, im Gegensatz zum Beispiel zu Rockenbauchs linkspolitischem Katalog.

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Noppers mobilisierte CDU-Basis wird ihm sicher auch im zweiten Wahlgang erhalten bleiben. Und dass sich aus der Mitte gleich zwei Kandidaten die Stimmen gegenseitig wegnehmen, kann dem 59-jährigen Bankkaufmann und Juristen nur recht sein. Die Grünen scheinen kapituliert zu haben: Sie lehnen eine Wahlempfehlung für einen der beiden anderen OB-Gegenkandidaten Noppers ab.

Wie könnte Marian Schreier ein Sieg gelingen?

Der amtierende Tengener Bürgermeister baut auf moderne Konzepte, auf die Jugend, das Digitale - und auf die Mitte. „Es gibt ein relativ konservatives Angebot und ein relativ linkes Angebot“, sagt er. „Ich bin aber der Meinung, dass die Wähler sich ein progressives Angebot in der politischen Mitte wünschen.“

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Der 30-Jährige scheint vor der Wahl auf alle Fragen von den Mietpreisen über den Klimakampf bis zu den fehlenden Trails für Mountainbiker ein Projekt parat zu haben. Vehement vertritt er die These, dass in Stuttgart nichts vorwärts geht. Empfohlen wird er aber noch nicht einmal von seiner eigenen Partei, deren Kandidat nicht mehr antritt. Denn nach einem Streit um seine Kandidatur muss Schreier seine SPD-Mitgliedschaft im Wahlkampf ruhen lassen, außerdem schieben ihm Grüne und Rockenbauch nach den gescheiterten Gesprächen den Schwarzen Peter zu.

Könnte es auch einen Überraschungssieger Rockenbauch geben?

Neben Nopper und Schreier gehört auch Stadtrat Rockenbauch zum erweiterten Favoritenkreis, aber er muss mit dem radikalsten Programm die meisten Stimmen aufholen und schneidet auch bei der jüngsten Umfrage schlechter ab als seine Konkurrenz.

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Der 40-Jährige ist bislang eher als eine Art Sprecher der außerparlamentarischen Opposition im Stuttgarter Gemeinderat bekannt geworden. Schärfer als die anderen Bewerber formuliert er seine Klimaziele - eine klimaneutrale Stadt bis 2030, möglichst autofrei und mit kostenlosem Nahverkehr. Das könnte ihm Kienzle-Wähler und junge „Fridays for Future“-Anhänger zuspielen.

Der 40-Jährige ist aber auch eine Galionsfigur der Bewegung gegen S 21. Das dürfte viele davon abhalten, ihn zu wählen. Gegner des Bahnhofsprojektes haben ihr Kreuzchen dagegen sicher bereits bei der ersten Wahl für ihn gemacht.

Warum gibt es im zweiten Wahlgang keine Stichwahl?

Der zweite Wahlgang ist ein komplett neuer Wahlgang. Zwar versuchen die Kandidaten aus der Rangfolge des ersten Wahlganges ihre Chancen abzuleiten, dennoch werden für die Neuwahl die Karten neu gemischt. Anders als im ersten Wahlgang gewinnt also der Kandidat, der die meisten Stimmen bekommt. Denn im Gegensatz zu anderen Bundesländern gibt es in Baden-Württemberg keine Stichwahl, falls im ersten Wahlgang kein Bewerber die absolute Mehrheit erreicht.