Bei der Wahlparty der Grünen im Schlesinger ist es laut, rappelvoll und wild. Eine Chronologie des Abends.

Stuttgart - Um 21.12 Uhr ist es endlich so weit. Der erste grüne Oberbürgermeister einer deutschen Landeshauptstadt betritt die anerkannte Punk- und Fußballkneipe Schlesinger. „Battle without Honor or Humanity“ der Band Tomoyasu Hotel ertönt in voller Lautstärke aus den Boxen, untermalt von frenetischem Beifall. Das ist ganz großes Kino.

 

Um 21.16 Uhr wird die Schallmauer durchbrochen, als Fritz Kuhn mitsamt Familie auf der Bühne angekommen ist. So sieht ein etwas abgekämpfter Wahlsieger aus. „Wir haben acht Monate zusammen gekämpft, es war wunderbar, mit euch diese Wahlauseinandersetzung zu führen“, sagt Kuhn und legt nach: „Die Schmähkampagne der Gegenseite, ich sei gegen das Auto, ist gescheitert. Wir haben eine Botschaft, die ist bundesweit wichtig: Die CDU kann die deutschen Großstädte nicht mehr gewinnen! Jetzt feiern wir!“

Schon um 17 Uhr drängen sich die Unterstützer

Wie sich die Welt doch binnen zweier Wochen verändern kann. Als die Stuttgarter Grünen den ersten OB-Wahlgang im Schlesinger verfolgt hatten, tummelten sich gegen 17.30 Uhr drei versprengte Parteisoldaten zwischen Wurstsalat und Prognosen. Deko: Fehlanzeige.

14 Tage später ist alles anders. Bereits um kurz nach 17 Uhr drängt sich vor dem Eingang ein Knäuel an Grünen-Unterstützern, an der Tür hängen grüne Luftballons, beschriftet mit „Fritz!“ und einem Kreuzchen, die Tische im Innenraum sind verschwunden, stattdessen gibt es eine grüne Absperrung vor der Riesenleinwand, „damit Fritz später zu uns durchkommt“, erklärt die Kreisvorsitzende Petra Rühle.Wenigstens sind die vor zwei Wochen noch schwer vermissten Sonnenblumen vorhanden. Die von der Partei für sich vereinnahmte Pflanze steht für die relaxt-sommerliche Stimmung, die schon vor Bekanntgabe der ersten Zahlen herrscht.

Die Parteibasis zeigt sich siegesgewiss. Vielleicht liegt die kollektive Entspannung auch an Fritz Kuhn selbst, der am Nachmittag über den Kurznachrichtendienst Twitter pikante Interna preisgibt: „Sodele, jetzt hab ich noch ein Stündle Mittagsschlaf gemacht. In der Ruhe liegt bekanntlich die Kraft.“ 18.18 Uhr dann die ersten Zahlen. Kuhn liegt nur minimal vor Turner. Amelie Montigel, Beisitzerin im Kreisvorstand Stuttgart: „Bis jetzt ist es noch sehr knapp!“

18.19 Uhr: Tor Kuhn! Der Grüne zieht davon, die Stimmung hat zum ersten Mal etwas vom A-Block im Daimlerstadion. Ekstase im Schlesinger, wo soll das nur hinführen? Die Ohren schmerzen bereits. 18.23 Uhr, Petra Rühle gibt den Einheizer: „Was sollen wir da kommentieren, die Zahlen sprechen für sich. Und die Innenstadtbezirke kommen erst noch“. City-Maut war gestern, hier droht eine grell-grüne La-Ola-Welle.

„Da nehmen wir den Nervenkitzel doch gerne hin: Wir haben in der CDU-Hochburg Sillenbuch den Turner überholt“, freut sich Karsten Hoffmann, der Ortsverbandssprecher in Sillenbuch. Mit jedem zehntel Prozent mehr für Kuhn steigert sich die Lautstärke von Lüftchen über Wind bis Orkan. Mehli Göksu, Bezirksbeirat in Mühlhausen: „Fritz hat es verdient, er hat klare Ansätze, die Stadt wieder zusammenzuführen.“

18.40 Uhr: „Zugabe, Zugabe“-Rufe, 52,0 zu 46,1. Zwei Minuten später. 52,3 Prozent für Kuhn, minutenlange „oben bleiben“-Sprechchöre. Haben wir eigentlich schon gesagt, dass es laut ist? „Letzte Woche gab es für mich nur die Silbermedaille, nun holt Fritz Gold“, freut sich Christoph Weber, der bei der Wahl in Göppingen als OB-Kandidat unterlegen war. „Die Stuttgarter haben die Nase voll von den Schwarzen“, ergänzt Amelie Montigel.

Jubel, Trubel, Heiterkeit im Schlesinger

19.13 Uhr, vorläufiges Endergebnis. Petra Rühles Augen funkeln auf der Bühne. „Stuttgart hat einen neuen Oberbürgermeister, und der heißt Fritz Kuhn.“ Jetzt ist es aber wirklich etwas zu laut, wir fordern vom neuen OB als erste Amtshandlung eine Lärmobergrenze für Wahlpartys. Als die Tagesschau den neuen Oberbürgermeister zeigt, wird vor dem Lokal ein Feuerwerk gezündet, die Schloßstraße ist zu dem Zeitpunkt längst gesperrt. So sieht grüne Verkehrsberuhigung im Überschwang der Gefühle aus. Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekommt Szenenapplaus zur Begrüßung. „Ich freue mich, dass mein alter Freund Fritz die absolute Mehrheit gewonnen hat. Das ist ein Signal über Stadt und Land hinaus.“ Jubel, Trubel, Heiterkeit. Im Schlesinger droht in dieser Nacht die kollektive Schräglage.

Fritz Kuhn selbst hat dabei die Ruhe weg. Nach einem erholsamen Mittagsschlaf steckt man das bisschen Party bei erhöhter Lautstärke eben ganz locker weg.