Sebastian Turner möchte Oberbürgermeister in Stuttgart werden. Doch vor den Bürgern muss er erst die CDU überzeugen – kein leichtes Unterfangen.

Stuttgart - Eigentlich lebt Sebastian Turner in Berlin, seinen Lebensmittelpunkt aber hat er jetzt nach Stuttgart verlegt. Geht es nach dem Willen des CDU-Kreischefs Stefan Kaufmann, werden die Christdemokraten den in der Landeshauptstadt aufgewachsenen parteilosen Unternehmer ins Rennen um das OB-Amt schicken. Das ist in der CDU nicht unumstritten. Turner hingegen sagt: „Stuttgarter, die ich noch nie getroffen habe, wollen für mich Bürgerinitiativen bilden.“

 

Herr Turner, Sie machen sich zurzeit der CDU-Basis bekannt. Wie sind die ersten Reaktionen auf Ihre Bewerbung?
Positiv – innerhalb und außerhalb der CDU. Stuttgarter, die ich noch nie getroffen habe, wollen für mich Bürgerinitiativen bilden. Das habe ich nicht erwartet.

Offenbar sind aber keineswegs alle Christdemokraten begeistert. Die Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann und auch die Junge Union wollen den früheren Singener OB und heutigen EnBW-Repräsentanten Andreas Renner für eine Kandidatur gewinnen.
Die CDU ist lebendiger, als manche dachten. Ich war Jahre fort und arbeite zwar in CDU-Gremien mit, bin aber kein Mitglied – da ist eine gewisse Zurückhaltung doch verständlich. Bei den persönlichen Gesprächen löst sich das schnell.

Ist es nicht ein Armutszeugnis – und so empfinden das CDUler –, wenn eine Partei in den eigenen Reihen keinen Kandidaten findet?
Nein, es zeigt Veränderungsmut. Die CDU hat gesehen, was Parteien passiert, die abgewählt wurden und danach nichts ändern. Sie sind ein Jahrzehnt in der Opposition – wenn nicht eine Generation. Zudem: Wenn die CDU die OB-Wahl verliert, wird ein grüner OB wie in der Landespolitik die Ernte von Jahrzehnten erfolgreicher CDU-Politik einfahren und der Eindruck wird sein, die können es doch auch – wie bei Kretschmann. Bei der nächsten Landtagswahl wird die grüne Stärke dann betoniert. Ein OB-Kandidat, der über dem Parteienstreit steht und mit CDU-Positionen alle Stadtmilieus erreicht, hat die größten Chancen auf einen CDU-Wahlsieg im Rathaus.

Aber der innerparteiliche Prozess ist doch allenfalls semidemokratisch, wenn der Kreisvorsitzende sich von vornherein auf einen Favoriten festlegt und diesen protegiert.
Alle CDU-Mitglieder entscheiden über ihren Kandidaten basisdemokratisch. Mehr Demokratie geht nun wirklich nicht, und ich halte das im Übrigen für den einzigen Weg, den ich gerne mitgehe.

Teil der Offenheit ist die Debatte über die Eignung des oder der Kandidaten. Ihnen fehle die Erfahrung in der Kommunalpolitik, wird innerhalb der CDU moniert.
Das ist ein Scheingefecht. Die wirkliche Frage dahinter ist: Wie sehr soll der nächste OB über dem Parteienstreit stehen? Wenn es eine Stadt gibt, die belegt, dass OBs ohne kommunalpolitische Vorerfahrung erfolgreich sein können, dann ist es Stuttgart. Zwei von drei OBs in der Nachkriegszeit hatten sie nicht vor Amtsantritt, und das hat 66 Jahre lang keiner gemerkt. Jetzt kommt jemand mit zwei Jahrzehnten internationaler Führungserfahrung aus Wirtschaft, Vereins-, Hochschul- und Stiftungswesen, und auf einmal zählt nur Ortskenntnis im Rathaus. Verwaltungswissenschaftler schütteln bei dem Argument den Kopf. Ein Professor hat mir geschrieben: Wer über 1000 Verrückte in einem Kreativunternehmen führen kann, der kann natürlich auch eine Stadt leiten. Das gilt erst recht, wenn sie eine so gute Verwaltung hat wie Stuttgart. Nebenbei: Seit mehr als 20 Jahren berate ich Verwaltungen, von der Kommune bis zur EU-Kommission, in den letzten drei Jahren habe ich vor allem im öffentlichen Sektor gearbeitet. Aber darum geht es nicht.

Worum geht es dann?
Entscheidend ist Führungsstärke: gemeinsame Ziele setzen, Bürger verstehen und Mitarbeiter motivieren, Ergebnisse überprüfen. Dazu Einfallsreichtum, Entscheidungsfreude und Teamwork. Interessant ist auch, wie viele Bürger auf diese Diskussion reagieren: Sie sagen, die Behauptung zeige doch nur, dass frischer Wind nicht schaden würde.

Sie haben betont, der städtebauliche Gestaltungsspielraum, der sich durch Stuttgart 21 ergibt, reize Sie, und Sie wollten die Bürger mitnehmen. Ist das nicht eine bloße Floskel?
Nein, es ist die historische Chance von Stuttgart. S 21 sollte besser S 2 und S 1 heißen, weil es um zweierlei geht. S 1 ist der neue Bahnhof. Zwei Sorgen beschäftigen alle besonders: die Kosten und die Last durch Stau und Dreck. Beides ist am geringsten, wenn schnell gebaut wird und die Stadt das nicht mit bürokratischen Tricks hintertreibt, wie man das beim Verkehrsminister befürchten muss. Das treibt nur Kosten und Bauzeit. Außerdem kann niemand besser als ein OB der CDU von der Bahn verlangen, dass sie das enorme Engagement der Parteimitglieder bei der Volksabstimmung mit höchster Professionalität in der Umsetzung honoriert. Und es geht um S 2, die unvergleichliche städtebauliche Gestaltungschance auf dem Gleisfeld . . .

. . . womöglich à la Landesbank?
Bitte, bitte, bitte nicht! Stuttgart darf nicht die Fehler von Berlin wiederholen. Wenn ich die Bebauung auf den bisher frei gewordenen Bahnflächen ansehe, verstehe ich die Sorge, dass Stuttgart für viel Geld nichts Gescheites bekommt. Solche Sünden müssen unterbleiben. Dabei kann eine neue Bürgerkultur helfen, die aus ehemaligen Bahnhofsstreitern Verbündete für eine gelungene Stadtplanung macht. Wir haben jetzt Jahre, um zu überlegen und uns die besten Vorbilder auf der Welt anzusehen. Dann bekommt Stuttgart nach dem großen Streit eine großartige, gemeinsame neue Innenstadt. Die Maxime heißt: Stuttgart einen und entfalten.

Die Stadt müsste dann aber auf viele Hundert Millionen Euro Erlös verzichten.
Nein, wir müssen endlich richtig rechnen. Die Frage ist nicht, wie verkloppe ich den Quadratmeter möglichst meistbietend und bekomme dafür gesichtslose Investorenkisten. Die Frage heißt vielmehr: Wie entsteht das Beste für die Stadt als Ganzes.

Sie sind ein Idealist!
Oder Unternehmer. Ich will für das investierte Geld den besten Gegenwert. Wenn wir diese Stadtentwicklungschance klug ergreifen, kann Stuttgart sich stärker entfalten als jede andere Stadt in Deutschland. Ich wäre dankbar, wenn ich daran mitwirken könnte.

Das ist aber noch kein Programm.
Auch die Art, wie das weitere Programm formuliert wird, sollte zur Mitwirkung einladen. Im ersten Schritt geht es darum, die richtigen Fragen zu stellen. Wie wird die kinderfreundliche Stadt zur elternfreundlichen Stadt – Stichwort Betreuung? Wie schafft es das anerkannte Bildungssystem, noch mehr Jugendlichen ausbildungsfähig zu machen? Wie bewahrt Stuttgart die hohe Zahl an sicheren Arbeitsplätzen? Wie bekommen Kultur und Wissenschaft den Rang, den sie verdienen? Wie ermöglichen wir den Älteren ein würdiges Leben? Die Antworten sollten wir nicht im Streit, sondern in einem Ideenwettbewerb finden.

Letzte Frage: Wenn Ihnen Bürger Unterschriften für ein Volksbegehren übergeben möchten, würden Sie die annehmen?
Natürlich. Wer ohne Waffen kommt, wird empfangen.
Das Gespräch führten Thomas Braun, Jörg Nauke und Achim Wörner.