Kurz vor der OB-Neuwahl ist der Abstand zwischen den Bewerbern gering: Kuhn wurde vor knapp zwei Wochen von 70.492 Bürgern gewählt, Turner von 66.753. Zum Sieg am Sonntag würden einem Kandidaten die Stimmen von einem Viertel der Wahlberechtigten reichen - das sind nur 15 Prozent der Stuttgarter.

Stuttgart - Bekannte Sozialdemokraten haben am Donnerstag für die beiden aussichtsreichsten Bewerber um die Nachfolger von Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) geworben: Fritz Kuhn hatte den Münchner OB Christian Ude (SPD) eingeladen. Sebastian Turner wird vom Ehrenpräsidenten des VfB Stuttgart, Erwin Staudt, unterstützt.

 

Vor allem der von der CDU nominierte und von Freien Wählern und der FDP unterstützte Turner hat in den vergangenen Tagen mit Postwurfsendungen für sich geworben. Aus gutem Grund: Nach dem ersten Wahlgang am 7. Oktober bewerten Politikexperten seine Chancen geringer als die des Grünen Fritz Kuhn. Aber nicht nur, weil der Bundestagsabgeordnete mit 36,5 Prozent um zwei Punkte besser abschnitt als Turner und wohl eher vom Rückzug der Dritt- und Viertplatzierten profitieren könnte. Sondern vor allem deshalb, weil es dem von zwei Parteien und einer Wählervereinigung finanziell und personell unterstützten parteilosem Unternehmer aus Berlin nicht gelungen ist, sein Klientel hinter sich zu bringen. Turners 34,5 Prozent sind jedenfalls weniger als die 45,5 Prozent, die seine Unterstützer noch bei der Kommunalwahl 2009 erreicht hatten. Und: Bei den letzten beiden OB-Wahlen legte der Kandidat der Christdemokraten bei der Neuwahl weniger zu als seine Konkurrenten.

3739 Stimmen trennen Kuhn und Turner

Der Abstand zwischen den aktuellen Bewerbern ist gering: Kuhn wurde von 70 492 Bürgern gewählt, Turner von 66 753. Die Differenz von 3739 Stimmen entspricht rund sechs Prozent der Bürger, die Bettina Wilhelm (SPD) oder Hannes Rockenbauch (SÖS) gewählt haben (49 272). Diese müssen sich nun neu orientieren. Die Wahlbeteiligung lag bei 46,7 Prozent. Von den 415 309 Wahlberechtigten gingen lediglich rund 193 000 an die Urne. Bezogen auf die Summe aller Wahlberechtigten stimmten für Kuhn und Turner jeweils nur etwa 16 Prozent. Wolfgang Schuster wurde 1996 und 2004 lediglich von etwa 23 Prozent der Wahlberechtigten – das sind etwa 15 Prozent aller Stuttgarter Bürger ins Amt gewählt.

Die SPD Stuttgart hat ihren Anhängern nach dem Rückzug von Bettina Wilhelm empfohlen, Fritz Kuhn zu wählen. Das oberste Ziel sei es, einen „schwarzen“ OB zu verhindern. Im dritten Anlauf müsse das Grün-Rot einfach gelingen, sind sich die beiden Parteien einig.

Profitiert Loewe von ehemaligen Rockenbauch-Wählern?

Der Großteil der Rockenbauch-Anhänger hatte bei der letzten Landtagswahl die Grünen gewählt und steht Stuttgart 21 ablehnend gegenüber. Kuhn ist für viele Projektgegner wegen seiner kritisch-konstruktiven Haltung eher das „kleinere Übel“ gegenüber dem Tiefbahnhof-Befürworter Sebastian Turner. Experten gehen nun davon aus, dass viele Rockenbauch-Wähler entweder zu Hause bleiben oder (im geringen Maße) den Einzelbewerber Jens Loewe wählen, der es im ersten Wahlgang auf 1,1 Prozent gebracht hat und auch ein bekennender S-21-Gegner ist.

Dabei ist der Kandidat Fritz Kuhn für den harten Kern der Projektgegner noch das geringere Problem. Er wird aber in Sippenhaft genommen, weil nach deren Ansicht der grüne Teil der Landesregierung das Projekt allzu unkritisch begleitet, etwa bei der Leistungsfähigkeit. Bekäme Kuhn trotz dieser atmosphärischen Störungen nur die Hälfte der Stimmen aus den Lagern Wilhelm/Rockenbauch, käme er bei einer vergleichbaren Wahlbeteiligung immerhin auf 49 Prozent. Da neben Kuhn und Turner weitere sieben Bewerber im Rennen sind, könnten bereits etwa 48 Prozent der Stimmen für die einfache Mehrheit genügen.

Turner setzt auf die Aktivierung von Nichtwählern

Turner setzt darauf, bei der Neuwahl mehr Nichtwähler hinzuzugewinnen als sein Kontrahent. OB Schuster (CDU) gelang es bei der Wahl 2004, bei der Neuwahl 5200 Nichtwähler an die Urne zu bewegen, Ute Kumpf (SPD) verzeichnete in dieser Sparte keinen Zuwachs. Dennoch verringerte sich der Abstand. Auch 1996 verkürzte Schusters Gegenkandidat, der Grüne Rezzo Schlauch, im zweiten Durchgang den Abstand zum CDU-Bewerber.

Die Wahlbeteiligung könnte leicht über der im ersten Wahlgang liegen, dies lassen die Briefwahlanträge erwarten. Während 1996 die Wahlbeteiligung in Runde zwei um 3000 Bürger stieg, sank sie 2004 um rund 11 000. Ausschlaggebend war damals der Rückzug des Grünen-Bewerbers Boris Palmer. Das Statistische Amt war zur Erkenntnis gelangt, dass 34,4 Prozent der 38 728 Palmer-Wähler nicht an der Neuwahl teilnahmen. Der Rest verteilte sich auf Schuster und Kumpf, und zwar im Verhältnis 12,5 zu 52,3 Prozent. Schuster konnte also von der in diplomatische Floskeln gekleideten Wahlempfehlung Palmers nicht profitieren.