Dieser Wahlkampf hat Kraft gekostet – aber vor allem das Publikum. Denn die sieben Bewerber lobten sich mehr gegenseitig, als dass sie Kante zeigten. Am Sonntag wird ein Nachfolger für den SPD-Mann Ivo Gönner gewählt. Endlich!

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Am Samstag noch einmal beim Ulmer Weihnachtmarkt auftauchen, vielleicht vor der Märchenjurte für die Fotografen in eine Feuerwurst beißen und nachher freundlich die Kantatenbläser loben, dann ist es vorbei. Die sieben Kandidatinnen und Kandidaten des Ulmer Oberbürgermeisterwahlkampfs 2015 haben ihren Job endgültig gemacht. Am Sonntag geht es, nach vier Monaten Stimmenwerbung, um die Nachfolge des Amtsinhabers Ivo Gönner (SPD). Kaum vorstellbar, dass die Entscheidung im ersten Wahlgang fällt.

 

Wer die zurückliegenden Wochen verfolgt hat und – so wie das Kandidatentableau – von fröhlicher Zuversicht betupft ist, wird sich freuen können, dass niemand beschmutzt wurde. Als fair loben sich allüberall die Kontrahenten. Die Misanthropen Ulms aber dürfen maulen, dass dieser Wahlkampf sie beinahe um den Verstand gelangweilt hätte.

Keine Attacke, keine Emotionen

Da war kein plötzlich aufflammendes Wortduell, keine Attacke, nichts Zornbebendes, das wie ein Kontrastmittel hätte helfen können, die Kandidaten schon von fern zu unterscheiden. Vielmehr schien es, als gingen sich die Wettbewerber gezielt aus dem Weg. Bloß keine Emotionen, dafür Auftritte auf Wochenmärkten, Zwetschgenkuchen an Stehtischen, viel präsidiales Staunen und jede Menge Informationen, von denen versprochen wurde, sie würden mit in die Wahlkampfbüros genommen werden, um sie dort „wie Maria im Herz zu bewegen“. Verzeihung, letzterer ironischer Zitatausriss stammt von Ivo Gönner, und er tritt ja als Rathauspolitiker samt seiner Schlagfertigkeit bald ab.

Man könnte auf die Idee kommen, dass die bürgerliche Mitte Ulms ein scheues Reh ist, das hinweggescheucht wird, sobald ein Wahlkämpfer mit Begriffen wie Armut oder Kriminalität oder Diskriminierung operiert. Jedenfalls war von offenen Konfliktlinien in dieser vermögenden Stadt, von Unerledigtem oder von kühnen, unbehaglichen Plänen für die Zukunft nie die Rede. Lieber wurde von Stellschrauben gesprochen, die beim Wohnungsbau, der Entwicklung der Universität oder beim Städtebau nachjustiert werden sollen. Kann aber auch sein, die jahrelang geübte Loyalität gegenüber Ivo Gönner hat seine potenziellen Nachfolger vergessen lassen, wie das überhaupt geht: sich wirklich empören und öffentlich die Zähne zeigen.

Immerhin: Zank ums Wahlkampfbudget

Wer in der ausglimmenden Asche dieses Wahlkampfs wühlt, vermag aber doch das eine oder andere Glanzstück zu entdecken. Zum Beispiel war da die grüne Kandidatin Birgit Schäfer-Oelmayer, die offensichtlich genervt davon war, täglich durch die in der Stadt aufgehängten Papp-Spaliere ihrer Konkurrenten von CDU und SPD schreiten zu müssen. Öffentlich forderte die Stadträtin die Stimmenjäger dazu auf, ihr Walkampfbudget offen zu legen – und ging mit eigenem Beispiel voran.

„Fotografien und Styling der Kandidatin: 1000 Euro.“ – „ Sonstige Bilder: 0 Euro (selber geschossen)“ – „Bio-Brezeln und -kuchen, Biobutter und Demeteräpfel für den Infostand, Zutaten für die selbst gekochte Kartoffelsuppe (...), Recycling-Servietten und Schüsseln: 131,26 Euro.“ So ging es weiter, bis zum Endbetrag von 24 276,67 Euro, wovon 10 000 Euro aus der Haushaltskasse ihrer Partei kämen, so Schäfer-Oelmayer.

Erobert die CDU endlich wieder eine Großstadt?

Der Wahlmitfavorit Martin Rivoir (SPD) konterte mit Ausgaben von 70 000 Euro, Gunter Czisch (CDU) nannte 120 000 Euro. Doch der Pokal dieses Bescheidenheitswettbewerbs ging an die Piratin Anja Hirschel: 950 Euro. Die Zahlenränkespiele – denn die Angaben wurden sogleich angezweifelt – gehören zu den vielen Petitessen dieses Wahlkampfs, die ein kleines Lächeln zu zaubern vermochten.

Ohne Spannung ist die Ulmer OB-Wahl trotzdem nicht, jedoch entsteht sie einzig und allein aus den herrschenden Konstellationen. Es wird nämlich eng am Sonntag. Gunter Czisch, langjähriger Finanzbürgermeister und Stellvertreter Ivo Gönners, könnte der erste CDU-Kandidat werden, der seit Jahren wieder Rathauschef einer deutschen Großstadt wird. Und er ist der einzige Bewerber, der alles auf eine Karte setzt. Sollte er scheitern, hat er erklärt, werde er seinen Posten als Finanzbürgermeister, der im August 2016 ohnehin wieder zu Wahl steht, dennoch aufgeben.

Eine Stichwahl ist sehr wahrscheinlich

Martin Rivoir, SPD-Landtagsabgeordneter, Stadtrat und als solcher Stimmenkönig der zurückliegenden Kommunalwahl, hat ohne Zweifel ebenfalls eine treue Anhängerschaft in der Stadt, in der aufgrund ihrer industriellen Geschichte noch reichlich Arbeiterblut pulsiert. Und Birgit Schäfer-Oelmayer darf nicht nur auf eine große grüne Anhängerschar, sondern auch auf die Unterstützung vieler Wählerinnen vertrauen, die sich schon lange am kommunalpolitischen Ulmer Männerklub aus Altersgenossen stören. Sie könne, hat sie kürzlich gesagt, „auch mal eine Position räumen“, wenn sie sich als falsch erweise. Ihre Art kommt gut an und dürfte zu mehr als einem Achtungserfolg reichen.

Lisa Collins (Die Partei), Sevda Caliskan und Ralf Milde (beide parteilos) heißen die weiteren Bewerber. Sie werden keine große Rolle spielen. Aber wen Birgit Schäfer-Oelmayer bei einer Stichwahl empfiehlt, das wird noch sehr, sehr spannend.